vorlauf: Das Gedächtnis funktioniert noch
„Was uns auf den Nägeln brennt. USA – drei Monate danach“ (20.45 Uhr, Arte)
Dass Fernsehjournalisten ein Gedächtnis haben sollten, ist ein in der Medienbranche häufig diskutierter Anspruch, aber keine Selbstverständlichkeit.
Große Aufregung am 11. September: Schnelle Bilder vom Zusammenbruch des World Trade Centers, dann der Wettbewerb, welcher Sender am souveränsten die Situation meistert, in der viel vermutet und wenig gewusst wird. Interviews mit stammelnden Zeugen wechseln sich ab mit Statements von Politikern, die geschickt ihre Unkenntnis überspielen.
Tage danach: alles vergessen, alles vorbei. Die Karawane zieht weiter – business as usual. Vor dem Hintergrund dieses Aktualitätswahns ist der Arte-Themenabend bemerkenswert. Zwei Filme beschäftigen sich mit der derzeitigen politischen Stimmung in den USA, dokumentieren das Nachdenken über Ursachen und Folgen des Anschlags. Unterschiedliche Meinungen werden geäußert, mal mehr, mal weniger reflektiert.
Zwar sind beide Filme – Amos Kolleks „Ein anderes New York?“ um 20.45 Uhr und Pierre- Marie Bernoux’ „Ein anderes Amerika?“ um 21.55 Uhr – sehr subjektiv gestaltet, doch gerade deshalb bieten sie adäquaten Stoff für den Zuschauer, sich eine eigene Meinung zu bilden. Vor allem in Bernoux’ Film wird deutlich, dass nach der persönlichen Betroffenheit die politische Positionierung beginnt.
Nationalisten stimmen fähnchenschwingend ihr trotziges „jetzt gerade“ und „weiter wie bisher“ an. Andere sinnieren selbstkritisch über die Gleichgültigkeit, die ihr Land der Armut der dritten Welt entgegengebracht habe. Der Terrorismus müsse im gesellschaftlichen Zusammenhang gesehen werden, meint ein Journalist. Ein Musiker der Militärkapelle grüßt mit „Salam alaikum“, um Feindbilder aufzuweichen.
Interviews mit Arabistik-Studenten fallen ebenfalls polarisierend aus: Von Völkerverständigung ist die Rede, aber auch davon, „den Feind“ strategisch auszuspionieren. Der Film zeigt, dass die Krise in jedem Fall eines bewirkt hat: Politische Debatten sind in den USA wieder en vogue, werden mit großem Ernst und klar umrissenen Zielen geführt. GITTA DÜPERTHAL
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