ulrike herrmann über Non-Profit: Mit Kamera auf Stimmenfang
Alle reden vom Krieg in Afghanistan. Für drei junge Fernsehjournalisten wurde das richtig anstrengend
Kamera hoch, Kamera runter, Kamera hoch, Kamera wieder runter. Das Fernsehteam sieht schon ganz erschöpft aus. Ein Privatsender hat drei hoffnungsfrohe Journalisten dafür abgestellt, „die Stimmung einzufangen“. Es ist Fraktionsfest der Bundesgrünen. Einmal jährlich findet es statt, Routine, aber ausgerechnet an diesem Tag hat der Kanzler die Vertrauensfrage angedroht. Und ausgerechnet diesmal feiern die Grünen im Museum. Es ist zwar ein Museum für Gegenwartskunst, aber trotzdem. Es ist ein Museum für das Jetzt, das im Moment vergeht.
Welch ein Abend, damit drei junge Fernsehleute bundesweit bedeutsame „O-Töne“ sammeln können. Es geht um die Zukunft der rot-grünen Koalition, um die Mitwirkung der Deutschen im Afghanistankrieg, um die Frage, ob Guido Westerwelle der nächste Außenminister wird. Offiziell. Wenn die Kamera oben ist. Wenn sich aus der Ferne des langen Flures andeutet, dass ein grüner Promi den Heimweg antritt. Wenn endlich mal wieder das Objektiv auf Jagd gehen kann. Leider zieht sich das Fest. Inzwischen ist es schon 11 Uhr nachts.
Inoffiziell heißt das Thema deshalb „Autan“. Wenn die Kamera unten ist, wenn mal wieder kein Grüner in die Falle „Vorsicht, Kamera!“ läuft. Dann insistiert die blond gesträhnte Tontechnikerin: „Du musst Autan nehmen, Autan hilft!“ Mitten im November ist das ein erstaunlicher Satz. Aber die beiden anderen wundern sich nicht. Der Kameramann gähnt nur. „Doch, wirklich!“, kann die blonde Tontechnikerin noch nachsetzen, dann kommt Unruhe in die drei. Ein hoch gewachsener, dunkelhaariger Herr nähert sich, endlich, ein grüner Mandatsträger.
Er hat keine Chance. Die Kamera fliegt hoch, das Mikrofon wird ihm in die Brust gestoßen, er soll den Auftritt von Schröder vor der grünen Fraktion bewerten. Der Mandatsträger windet sich, jedes Wort scheint ihm gefährlich: „Der Kanzler hat deutlich gemacht, dass er auch nach 2002 eine Zukunft für die rot-grüne Koalition sieht. Das ist sicher eine Basis für die weitere Diskussion.“ Schon während er redet, sieht man es den dreien an: Oh Scheiße, diesen O-Ton können wir vergessen. Zu kompliziert für die Zuschauer, das Warten war umsonst. Doch obwohl enttäuscht, bleiben die drei höflich, versuchen es mit der nächsten Frage: „Werden die Kriegsereignisse die Entscheidung der Grünen beeinflussen?“ Ja, das wüsste man tatsächlich gern. Antwort: „Es wäre sicher nicht richtig, die eigene Meinung von Dritten abhängig zu machen.“ Das Lächeln der drei verzerrt sich, noch ein O-Ton, den sie wegschmeißen können.
Der Mandatsträger entschwindet, die Kamera geht runter, es ist Zeit für Autan: „Fische riechen, wenn du rauchst. Dann kommen sie nicht.“ Anscheinend besitzt die blond gesträhnte Tontechnikerin ein Aquarium, und anscheinend wirkt Autan attraktiv auf alles außer Mücken. Muss man sich merken. Das scheinen die beiden Kollegen auch zu denken, sie gähnen nicht mehr.
Außerdem kommt gerade eine grüne Exministerin ins Kameraobjektiv gelaufen. Wie fand sie den Kanzler? „Schröder hatte einen tollen Auftritt. Der hat bestimmt noch einige Abweichler zum Nachdenken gebracht.“ Die drei strahlen, klare Worte, kämpferisch, muss man nicht schneiden. Und die Zukunft der rot-grünen Koalition? „Ich bin Optimistin.“ Das ist so knapp, das kann man gar nicht mehr schneiden. Super.
Kamera runter. „Aber Autan allein reicht nicht, du musst mit den Fischen auch reden. Sonst werden sie bockig.“
Kamera hoch: Ein türkischstämmiger Abgeordneter biegt um die Ecke. Die drei lächeln erfreut. Der ist als eloquent bekannt. Leider bringt das Interview nicht viel. Denn auch er ist „Optimist“, und zwei Optimisten sind zu viel für einen TV-Stimmungssampler.
Kamera wieder runter. Das war ein Fehler. Denn da kommt die Fraktionsvorsitzende vorbeigerannt, offensichtlich geübt im Spiel „Vorsicht, Kamera!“. Nein, leider, sie habe gar keine Zeit für ein Interview, ist noch schwach aus der Ferne zu hören, bevor sie ungefilmt um die Ecke biegt.
Jetzt kann auch Autan nicht mehr ablenken, ein Trost ist fällig. „Na ja, immerhin stehen wir diesmal nicht draußen in der Kälte.“ Das stimmt, und metaphorisch sowieso. Kaltgestellt sind andere, die Grünen.
Auch wenn es warm zugeht auf dem Fest, vor dem die drei Fernsehleute lauern. Man ist fröhlich, sogar herzlich miteinander. Die Grünen staunen selbst. „Aber vielleicht ist es ja gut, eine Krise zuzuspitzen“, sagt mir eine Abgeordnete. Am Nebentisch wird eine andere Sorge laut: „Stell dir vor, ich habe eine Seuche im Aquarium!“
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