taz begutachtet AfD: Streng öffentlich
Innenministerium und Geheimdienst zögern ein neues AfD-Gutachten hinaus, obwohl die Partei offensichtlich rechtsextrem ist. Lesen die keine Zeitung?
Anders als die NPD, die sich in ihrem Parteiprogramm offen antidemokratisch, rassistisch und NS-verherrlichend positioniert, macht die AfD das ein bisschen subtiler. Die Partei bekennt sich offiziell zu Grundgesetz und Demokratie, spielt aber zugleich mit rechten Kampfbegriffen, die sie dann wieder verharmlost und umdeutet.
Der Partei Verfassungsfeindlichkeit nachzuweisen, ist trotzdem möglich, wie Gerichtsurteile immer wieder zeigen. Denn dort zählt nicht nur das, was die Partei sich ins Programm schreibt – sondern auch das, was ihre Politiker sagen, was sie auf Instagram und Tiktok posten – und wovon sie sich eben nicht glaubhaft distanzieren. Hinzu kommt das, was sie in internen Chatgruppen und parteiintern als Ziel ausgeben.
Ebenso müssen Gerichte und Behörden sich nicht blind stellen: Der völkisch-nationalistische „Flügel“ von Höcke wurde zwar aufgelöst, ist aber in der Partei aufgegangen und ideologisch dominant, wie sich gerade an der Übernahme des Begriffs Remigration ins Wahlprogramm zeigt. Ähnliches deutet sich bei der Neugründung der als gesichert rechtsextrem eingestuften Jugendorganisation Junge Alternative an.
Warten auf Verfassungsschutz hat schon fast Tradition
Trotz fortgesetzter Radikalisierung lässt ein neues Verfassungsschutzgutachten auf sich warten. Das hat schon fast Tradition. Die Beobachtung der AfD bremste lange der ehemalige Behördenchef Hans-Georg Maaßen, der sich selbst während und nach seiner Amtszeit mit rechtsradikalen Äußerungen als AfD-nah entlarvte. Danach folgte die Beobachtung der Partei als eines rechtsextremen Prüffalls und 2021 die Hochstufung zum Verdachtsfall. Die AfD klagte erfolglos dagegen.
Der Verfassungsschutz kündigte ein aktualisiertes Gutachten für Ende 2024 an. Viele rechnen mit einer Hochstufung zur „erwiesen extremistischen Bestrebung“. Für einen AfD-Verbotsantrag wäre eine Hochstufung zwingende Voraussetzung. Möglich, wenn auch falsch wäre es, die AfD auf Bundesebene weiter als Verdachtsfall zu führen. Offiziell ist das Gutachten nicht fertig.
Tatsächlich verzögerte sich die Veröffentlichung erst wegen der vorgezogenen Bundestagswahl, dann, weil der Posten des Verfassungsschutzchefs vakant ist, nachdem Behördenleiter Haldenwang unbedingt für den Bundestag kandidieren wollte. Sein kommissarischer Nachfolger Sinan Selen gilt als entscheidungsschwach.
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Innenministerin Nancy Faeser (SPD) drängt nicht gerade auf eine Veröffentlichung, obwohl sogar CDU-Politiker wie Roderich Kiesewetter diese mittlerweile lautstark fordern. Ein Problem unter Schwarz-Rot könnte Innenminister und CSU-Chef Dobrindt werden – falls er einen Maaßen 2.0 an die Spitze des Geheimdienstes setzt und dann wieder die rechte Augenklappe aus dem Raum mit dem Aktenschredder hervorgekramt wird.
Die taz hat schon mal vorgearbeitet, streng öffentlich, versteht sich. Sechs Punkte, um den Behörden auf die Sprünge zu helfen.
Bezüge zu Rechtsterror
Die jüngste Rechtsterrorgruppe mit AfD-Bezügen ist letzten September aufgeflogen: Bei den Sächsischen Separatisten machten auch drei AfD-Funktionäre mit. Die arbeiteten nicht nur in Abgeordnetenbüros, sondern planten ein nationalsozialistisches Regime sowie ethnische Säuberungen und horteten Waffen. Die Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann ist derzeit als Teil einer Reichsbürger-Gruppe angeklagt, die ebenfalls einen gewaltsamen Putsch und mit lokalen Gruppen Säuberungen durchführen wollte.
Bezüge zu rechtem Terror sind eine Konstante in der AfD-Geschichte: Die 2016 für Sprengstoffanschläge verknackte Gruppe Freital traf sich in der Bar eines AfD-Mitglieds. Franco-A.-Komplize Maximilian T. war AfD-Gemeinderat und arbeitete im Bundestag. AfD-Leute waren Mitglieder in mehreren völkischen Preppergruppen, die sich auf Tag X vorbereiteten. Der Mörder von Lübcke war Wahlkampfhelfer und spendete an die AfD. Der Hanau-Attentäter sah sich am Abend vor der Tat eine Höcke-Rede an.
Verletzung der Menschenwürde
Die AfD verletzt mit ihrer Politik und ihren Forderungen regelmäßig die Menschenwürde und damit den ersten Artikel des Grundgesetzes. Sie verletzt mit geforderten Pauschalverboten des Minarett- und Moscheebaus die Religionsfreiheit, diskriminiert Menschen wegen deren Glaubens, Geschlechts, Herkunft und politischer Weltanschauung.
In diesem Punkt fand das Oberverwaltungsgericht Münster die über 10.000 Seiten starke Belegsammlung des Verfassungsschutzes zur Einstufung als Verdachtsfall sehr überzeugend, bestätigte bei Muslimfeindlichkeit einen „starken Verdacht“ und gab damit im Grunde einen Freifahrtschein für eine Hochstufung als verfassungsfeindlich. Diskriminierende Widerwärtigkeiten reichen von „Messermännern und Kopftuchmädchen“ über „Invasoren“ und „Eindringlinge“ bis hin zu „Parasiten“ und Islam als „totalitäre Ideologie“. Das Gericht nannte diskriminierende Äußerungen gegenüber Ausländern und Muslimen eine charakteristische Grundtendenz der Partei.
Rassistischer Volksbegriff
Die AfD spricht nicht nur deskriptiv von „Biodeutschen“, sondern verknüpft einen rassistischen Volksbegriff mit politischen Zielsetzungen. AfD-Politiker reden von „Volkstod“, „Umvolkung“ und „Bevölkerungsaustausch“ sowie „schleichendem Genozid an der deutschen Bevölkerung“. Sie planten auf dem Potsdamer Remigrationstreffen diskriminierende staatliche Maßnahmen gegen Minderheiten. Sie bezeichnen die Fußballnationalmannschaft als „nicht mehr deutsch“, fordern gar ein „Wahlrecht nach Abstammung“ und nutzen allerhand rassistische Beschimpfungen gegen Nichtweiße.
Zugleich fahren sie eine zweigleisige Kommunikationsstrategie: Erst beschließt die AfD Bayern eine Remigrationsresolution gegen den „Niedergang autochthoner Völker“, die bestimmten Deutschen die Staatsbürgerschaft aberkennen will und „Remigration im Millionenbereich“ fordert. Kurz darauf behauptet die AfD-Führung dann, mit Remigration seien Abschiebungen vollziehbar Ausreisepflichtiger gemeint – das wären 40.000.
Demokratie und Rechtsstaat untergraben
Hier greift die klassische Opfererzählung: Als Höcke mehrfach verurteilt wird für die bewusste Verwendung einer verbotenen SA-Parole, instrumentalisiert er seine Verurteilung, führt sie auf einen „politischen Schauprozess“ zurück und kündigt Vergeltung gegen das Gericht an: „Wenn die AfD an der Regierung ist, werden die politischen Schauprozesse aufgearbeitet werden, dann wird es wieder eine neutrale Justiz geben.“
In Parlamenten ist die AfD für Obstruktion berüchtigt, etwa im Fall des Thüringer AfD-Alterspräsidenten Jürgen Treutler, der bis zum Beschluss des Landesverfassungsgerichtshofs die Konstituierung des Parlaments blockierte. Danach griff die AfD planmäßig das Landesverfassungsgericht an – immer streng nach autoritärem Playbook. Nicht umsonst nennt die AfD Viktor Orbán und dessen zurückgebaute, illiberale Demokratie ein Vorbild. Mit weiteren Vorbildern ist die AfD ebenfalls eng vernetzt, ob Russland, China oder Broligarchen wie dem Techmilliardär Elon Musk aus den USA.
NS-Verharmlosung und Geschichtsrevisionismus
Weidel behauptete jüngst im Talk mit dem rechtsdrehenden Elon Musk, Hitler sei ein Kommunist gewesen. Chrupalla hat ebenso wie Krah unlängst die SS verharmlost. AfD-Abgeordnete machen Urlaubsfotos mit Hand auf dem Herz an Hitlers „Wolfsschanze“, veranstalten Heldengedenken. Zugleich gibt es Angriffe auf zivile Erinnerungsinitiativen und Gedenkkultur. Ein AfD-Kommunalpolitiker bedrohte kürzlich bei einer KZ-Gedenkveranstaltung Antifaschisten sogar mit dem Messer.
Die Partei greift auf allen Ebenen und systematisch die Erinnerungskultur an, wie es Rechtsextreme seit Jahrzehnten tun. Das zielt natürlich auf Schuldabwehr, um sich für mehr Nationalismus freischwimmen zu können. Geschichtsklitterung zieht sich wie ein roter Faden durch die AfD-Geschichte: vom Ehrenvorsitzenden Gauland, der die NS-Zeit als „Vogelschiss“ in der tausendjährigen deutschen Geschichte abtat, bis zu Björn Höcke, der vom Holocaustmahnmal als „Denkmal der Schande“ sprach.
Gegen Presse- und Forschungsfreiheit
Gender Studies will die AfD abschaffen, theologische Islamstudiengänge ebenfalls – Trump lässt grüßen. Ähnliches zeigt sich schon jetzt an der Presse- und Meinungsfreiheit: Die AfD schließt immer wieder missliebige Journalist*innen aus. Das fängt beim Parteichef Chrupalla an, der in seinem Kreisverband schon schwarze Listen über Journalist*innen geführt haben soll. Und es geht weiter in Thüringen, wo neben der taz weitere Medien unter fadenscheiniger Begründung von der Wahlkampfparty ausgeschlossen wurden.
Ähnliches passierte der taz bereits in Berlin und Bremen. In Thüringen wurde der WDR ausgeschlossen, in Bayern ein BR-Reporter. Der klagte sich ein und wurde dann von der Security sogar bis zum Klo begleitet. In Sachsen wurde ein Lokalreporter der Ostthüringer Zeitung bei einer AfD-Veranstaltung beschimpft, geschubst und geschlagen. Auf AfD-Demos kommt es immer wieder zu Angriffen und Anfeindungen.
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