taz-adventskalender „24 stunden“ (8): 8 Uhr im Bierbaum
In der 24-Stunden-Kneipe ist auch am Morgen Betrieb. Während draußen die Welt vorbeihastet, sorgt Franzi hinterm Tresen für Wohlfühlatmosphäre.
Stressig und chillig, hässlich und schön, herzerwärmend und abstoßend: Berlin hat viele Seiten, rund um die Uhr. In diesem Advent hangeln wir uns durch 24 Stunden Hauptstadtleben und verstecken jeden Tag aufs Neue 60 Minuten Berlin hinter unserem taz-berlin-Kalendertürchen. Heute: ab 8 Uhr im Bierbaum 2.
In der 24-Stunden-Kneipe stehen die Barhocker umgekehrt auf den Tischen, man sieht es bereits von draußen. Und dann ist auch noch die Eingangstür verschlossen. Irgendwas stimmt hier nicht, denke ich. Doch dann, plötzlich, ein Winken hinter der Scheibe, es weist in Richtung einer zweiten Tür. Hinein also in die gute Stube. Es ist Dienstagmorgen, 8 Uhr, im Bierbaum 2 auf der Sonnenallee. Die Luft ist rauchgeschwängert, aus der Jukebox dröhnt „Cheri Cheri Lady“.
Die Barfrau, nennen wir sie Franzi, steht mit einem Mopp und einem Eimer vor dem Tresen: „Wenn ick putze, ist die Tür imma zu“, sagt sie. Nicht, dass jemand die Arbeit am noch feuchten Boden direkt wieder zerstört. Was es zu trinken sein darf? Ich wage kaum, auf eine positive Antwort zu hoffen und frage: „Kaffee?“ Tatsächlich steht kurz darauf eine Tasse vor mir, das morgendliche Herrengedeck bleibt mir erspart.
Entschuldigung für die Preiserhöhung
Ich setze mich auf das Plateau in der Ecke mit den drei von Sofas umringten Tischen. Zu meiner Rechten eine Gruppe mit zwei jungen Frauen, die nonstop auf Englisch plappern, und einem Typen, der sich seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen hat – Nico-Semsrott-Style. Alle trinken Bier, nur nicht der große Hund mit den weißen langen Haaren unter der Bank. Der ist vermutlich schon besoffen. Oder von Modern Talking eingelullt.
Zu meiner Linken sitzen zwei Männer, auch sie keine 30, sie trinken Baileys, wegen der Weihnachtsstimmung, denke ich. Frage ich. Prompt sitze ich an ihrem Tisch und störe ihr Gespräch über ADHS. Beide arbeiten als Barkeeper in anderen Neuköllner Kneipen. Erst machte die eine zu, dann die zweite, jetzt also sind sie hier. Eine syrisch-dänische Freundschaft.
Sie bestellen noch mehr Baileys. Zweimal Sahnelikör auf Eis, 10 Euro. An der Wand hängt eine Entschuldigung. Auch der Bierbaum musste aufgrund der gestiegenen Kosten seine Preise zum Monatsanfang erhöhen. Immerhin kostet die Flasche Rotkäppchen laut Aushang immer noch 20 Euro. Durchgestrichen ist nur das „halb“ vor dem „trocken“.
Sicher vor der grauen Welt
Geschmückt ist der Barraum mit allerlei Weihnachtsbaumkugeln, Rentierfiguren und einem leuchtenden Weihnachtsbaum. Aus der Jukebox erklingt jetzt „Sunny Afternoon“. Franzi singt mit und schwingt den Mopp. Draußen im Grau der Sonnenallee ergießt sich der morgendliche Verkehr, Menschen hasten vorbei. Der Bierbaum scheint mir gerade der entspannteste Ort der Stadt. Ein schützender Kokon. Erst, als man von draußen den Laubbläser hört, fällt auf, dass die Musik verstummt ist.
Kurz vor halb neun. Endlich jemand, der aussieht wie ein alter Stammgast. Verquollenes Gesicht, Bierbauch. Wortlos stellt er sich an den Tresen. Er nimmt einen Kaffee. Als der Mopp vorbeigewischt ist, hilft er ungefragt, die Barhocker wieder auf den Boden zu stellen. Ein Bekannter kommt hinzu, Rentner. Der frühe Vogel fängt das Bier.
Er fragt Franzi, die sich gerade den Finger an einem Stuhl eingeklemmt hat, warum sie gestern nicht hier war. Freier Tag. Sonst aber ist Franzi fast immer hier. 7 Uhr Schichtbeginn, 8 Stunden Arbeit. Ihr Körper sei daran gewöhnt. Die Tage unter der Woche sind entspannt. Nur am Wochenende! Da seien hier um die Zeit zehnmal so viele Leute.
Draußen hält ein Notarztwagen. Franzi ruft in das versteckte Eck neben dem Eingang, wo zwei Menschen regungslos vor den rollenden Kirschen der Spielautomaten sitzen. „Laura, der Krankenwagen ist da. Wird Zeit“, witzelt sie. Und schiebt die Frage hinterher: „Wo geht’s denn hin? Notaufnahme oder Psychiatrie?“ Nirgends geht’s hin. Ein Bierchen geht noch. Der Tag ist ja noch jung.
„Mein Herz schlägt schneller als Deins“, singt jetzt Andreas Bourani. Beim Zahlen sagt Franzi: „Nächstes Mal trinkst du aber auch was!“ Ich verspreche es ihr.
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