taz-adventskalender „24 stunden“ (6): 6 Uhr am Radio
Es gibt Menschen, die wollen morgens nach dem Aufstehen vor allem eines: ihre Ruhe. Sich stumpf vom Bett aufs Sofa ins Wohnzimmer schleppen. Kaffee, Kippe, Klappe halten. Alleinsein, um zum wach werden bloß nicht zugetextet zu werden.
Daneben gibt es offenkundig noch die vielen anderen. Die, die um kurz nach 6 freiwillig Dialogen wie diesen zuhören: „Hallo Nathalie, was macht dich heute happy?“– „Dass wir heute in die Kita gehen und basteln.“ – „Joah, dann viel Spaß.“ Hahaha. Dialog zu Ende. Es folgt quälend lang Mariah Carey, „All I want for Christmas“.
Herzlich willkommen bei „Arno und die Morgencrew“, der Morgensendung von 104.6 RTL, die es so lange gibt wie den Berliner Privatsender selbst. Jeden Werktagmorgen fünf Stunden, seit über 30 Jahren. Moderator Arno Müller ist dann mittlerweile auch schon jenseits der 60.
104.6 RTL behauptet, es handele sich um „Berlins und Brandenburgs lustigste Morgensendung und seit Sendestart einen Garanten für hohe Einschaltquoten in der Radio-Prime-Time am Morgen“. Schwer verständlich, aber Letzteres stimmt, ganz objektiv. Der Sender mit Sitz in Charlottenburg hat die vierthöchsten Einschaltquoten in Berlin, nicht zuletzt aufgrund dieser Morgenschiene.
Das mit dem „Lustigsein“ ist dagegen Ansichtssache. Nur weil bei jeder Gelegenheit aus dem Hintergrund gegiggelt und gegluckst wird, ist eine Angelegenheit nicht zwangsläufig lustig, ganz subjektiv. „Was ist die Steigerung von Buchstabensuppe? Wörthersee.“ Hahaha. Es folgt quälend lang irgendein Dudellied.
Ausgesucht hektisch
„Arno und die Morgencrew“ ist eine ausgesucht hektische Veranstaltung. Ob Nachrichten, die Stau- und Blitzermeldungen, „alle 15 Minuten“ aus dem „RTL-Verkehrslagezentrum“ mit „Commander Frank“, oder die „Trends mit Verena um 20 nach“: Alle Wortanteile zwischen den Songs sind von einem unglaublich nervös machenden, weil für die Uhrzeit viel zu hochtourigen Soundteppich unterlegt.
Richtig „lustig“ soll wohl sein, wenn die diversen „Crew“-Mitglieder durcheinander reden. Dann heißt es: „Jetzt wird gezockt.“ Arno Müller spielt gegen einen Mitarbeiter. Jemand im Hintergrund sagt: „Aha.“ Jemand sagt: „Genau.“ Morgencrew-Azubi Ben sagt: „Ich habe richtig Bock zu gewinnen.“ Wieder: „Aha“. Wieder: „Genau.“
Stressig und chillig, hässlich und schön, herzerwärmend und abstoßend: Berlin hat viele Seiten, rund um die Uhr. In diesem Advent hangeln wir uns durch 24 Stunden Hauptstadtleben und verstecken jeden Tag aufs Neue 60 Minuten Berlin hinter unserem taz-berlin-Kalendertürchen. Heute: ab 6 Uhr
Zu erraten ist, wer mehr Instagram-Follower hat: Coldplay oder Gwyneth Paltrow? Adele oder Ed Sheeran? Dior oder Louis Vuitton? Fragen, die die Welt umtreiben um 6.40 Uhr. Azubi Ben gibt die schöne Fashion-Antwort: „Ich gehe komplett danach, was ich mir kaufen würde. Ich kaufe nichts davon, aber dann Louis Vuitton, ist mir sympathisch.“
Arno Müller rät das Gleiche. Ist auch richtig. Überhaupt raten Müller und der Azubi drei Mal das Gleiche und drei Mal das Richtige. Zu gewinnen gab es eh nichts, einen Gewinner damit auch nicht. „Das ist das Spiel. Deswegen macht es so viel Spaß.“
Nach einer Stunde darf der Autor dieses Textes das „Spaß“-Experiment in seinem dunklen Kreuzberger Wohnzimmer wieder beenden. Radio aus. Vor der Dusche und dem Fertigmachen für den Tag noch ein wenig stumpf auf dem Sofa hocken. Kaffee, Kippe, Klappe halten. Und nicht zugetextet werden. „2 Grad. Bleibt grau heute“, hat die „lustige“ Moderatorin das Wetter vorhin in Sekundenschnelle hingehektikt. Rainer Rutz
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