taz-adventskalender „24 stunden“ (18): 18 Uhr im Kino
Viele Kulturorte gelten als Institution – das Bali-Kino in Zehlendorf ist tatsächlich eine. Es trotzt seit Jahrzehnten Großkinos und Zuhause-Gucken.
Stressig und chillig, hässlich und schön, herzerwärmend und abstoßend: Berlin hat viele Seiten, rund um die Uhr. In diesem Advent hangeln wir uns durch 24 Stunden Hauptstadtleben und verstecken jeden Tag aufs Neue 60 Minuten Berlin hinter unserem taz-berlin-Kalendertürchen. Heute: ab 18 Uhr im Bali-Kino in Zehlendorf.
Rot leuchten die Buchstaben auf weißem Grund ins abendliche Zehlendorf, „18.00“ steht in Blau davor: die Anfangszeit des Vorabendfilms im Bali-Kino. Vorabendfilm jedenfalls nominell – manche witzeln, wegen des höheren Altersschnitts im Ortsteil sei das der eigentliche Abendfilm und nicht die 20.30-Uhr-Vorstellung.
„In Liebe, Eure Hilde“ ist der Film, den die roten Buchstaben ankündigen, die Geschichte um die Widerstandskämpfer des Schulze-Boysen-Kreises. Es ist ein trauriger und zugleich Mut machender Film, wie so viele im Bali. Still ist es in den Reihen mit den roten Polstersitzen nach Filmende auch noch, als die Tür aufgeht und eine Kinomitarbeiterin das Licht einschaltet.
Das Bali ist eine Institution
Zahlreiche Kulturorte Berlins und nicht wenige Kinos gelten als „Institutionen“. Doch für wenige trifft das so sehr zu wie für das 1946 gegründete Bali, dessen vier Buchstaben nicht für die indonesische Insel stehen, sondern den Namen „Bahnhofslichtspiele“ abkürzen. Das Bali liegt nämlich Luftlinie keine 70 Meter entfernt vom S-Bahnhof Zehlendorf. Dass diese Institution auch förderwürdig ist, belegen schon seit Jahren Urkunden im seitlichen Schaukasten. In diesem Sommer gab es sogar 40.000 Euro beim 26. Kinoprogrammpreis Berlin-Brandenburg.
Dabei ist im Bali nicht nur anspruchsvolles Aktuelles wie eben „In Liebe, Eure Hilde“ mit „Babylon Berlin“-Star Liv Lisa Fries zu sehen. Der Stutz, der Miniflügel links neben der Leinwand, steht dort nicht nur zur Dekoration. Regelmäßig treten hier Lehrer und Schüler der örtlichen Musikschule auf, von der es nur 400 Meter bis zum Bali sind. Jazz-Bands waren gleichfalls öfter zu hören. Und auch Star-Synchronsprecher Christian Brückner gastierte hier schon, an einem Abend mit Jazz und Lyrik. Der brauchte nur probeweise ins Mikro zu hauchen, um quasi Robert De Niro im Kinosaal erscheinen zu lassen, dessen deutsche Stimme er ist.
Umso größer war unter der Stammkundschaft der Schock, als Betreiberin Helgard Gammert, die das Kino 1979 übernommen hatte, im Frühjahr ankündigte, nun mit 80 Jahren als Kinochefin aufzuhören. Es sollte zwar einen Nachfolger geben, was viele aufatmen ließ. Doch erst einmal war am 30. Juni Schluss im Bali – und zwei Tage vor dem Abschiedsfest für Gammert lief der Klassiker „Cinema paradiso“, wo am Ende des Films das titelgebende Kino gesprengt wird und Raum für Parkplätze macht.
Eine lang ersehnte Toilette im Gebäude
Erst als der neue Macher Andreas Neun in einem Tagesspiegel-Interview ankündigte, dass die folgende Schließung bis Oktober nur dazu diene, eine Toilette einzubauen und die Leinwand zu erneuern – und dass ansonsten alles bleibe –, verflüchtigten sich allzu düstere Gedanken.
Das mit der Toilette war zuvor eine echte Besonderheit beim Bali. Wer musste, durfte sich nämlich am Eingang einen Schlüssel holen und zwei Häuser weiter – „bei dem goldenen Klingelschild“ – über den Hausflur hin zu einem WC eilen. Was einen um ein paar Minuten Film bringen konnte.
Als das Bali im Oktober wieder öffnete, kam das einer Quadratur des Kreises nahe: immer noch die rot-plüschigen, auch schon mal durchgesessenen Sitze, die lieb gewonnenen Plakate weiter an der Seitenwand, aber eben mit Toilette und noch besserer Filmqualität auf der Leinwand. An diesem 18. Dezember läuft übrigens um 18 Uhr (und auch um 20.30 Uhr) der italienische Erfolgsfilm des vergangenen Sommers: „Morgen ist auch noch ein Tag“. Glücklicherweise auch im Bali.
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