taz-Veranstaltung „30 Jahre 1. Mai“: Krawall bleibt aus
Ein Autonomer und eine Grüne diskutieren über den Kreuzberger 1. Mai und die Krawalle. Doch statt Streit gab es Pathos.
Öffentliche Diskussionen in Kreuzberg enden gern mal in Schreiereien. Linksradikale beschimpfen Politiker, weil sie in den Parlamenten Kompromisse machen. Gemäßigte Linke werfen Radikalen ideologische Verbrämtheit vor. Auch die taz-Veranstaltung am Dienstagabend zu 30 Jahren 1. Mai bot mit Jonas Schiesser auf dem Podium – so nennt sich der langjährige Sprecher der berüchtigten 18-Uhr-Demo jedenfalls – Potenzial für Krach. Doch es kam anders.
Es sei verkürzt, gewalttätige Aktionen gegen Sachen oder Menschen isoliert zu betrachten, mahnte nicht Schiesser, sondern Canan Bayram, Direktkandidatin der Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg. Am 1. Mai entlade sich die Unzufriedenheit über gesellschaftliche Missstände. „Es gibt Grenzverletzungen seitens der Regierenden, die auch Reaktionen auslösen.“
Schiesser, ein junger Mann mit Kinnbart und Basecap, hörte sich das interessiert an. Er habe gar nicht gewusst, dass die Grünen solche Fans der 18-Uhr-Demo seien. Schiesser selbst analysierte die eigene Demo überraschend kritisch. „Der revolutionäre 1. Mai krepiert an seinem Erfolg.“ Von 10.000 Teilnehmern seien früher 5.000 aus autonomen Strukturen wie besetzten Häusern gekommen. Mittlerweile gebe es bei 20.000 Leuten vielleicht 1.500 Organisierte. „Wir haben ein Problem, einen politischen Ausdruck in die Demonstration zu bringen.“
Konkret richte sich der Protest in diesem Jahr gegen steigende Mieten und Abschiebungen nach Afghanistan – wozu Bayram, die sich sehr für Flüchtlinge engagiert, wieder zustimmend nickte. Angesichts von so viel Einigkeit kam am Ende beinahe so etwas wie Pathos auf. Als der Bewegungsforscher Dieter Rucht erklärte, am 1. Mai gehe es traditionell um den Konflikt von Kapital und Arbeit, also um grundsätzliche Fragen der gesellschaftlichen Verteilung von Reichtum, kommentierte Schiesser nur: „Yeah!“
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