taz-Serie Stadtwerk (1/3): Der eigenen Stadt was Gutes tun
Der Energietisch fordert ein Stadtwerk, das ökologisch, demokratisch und sozial ist. Die taz beleuchtet dies in einer dreiteiligen Serie. Teil 1: Das Öko-Stadtwerk.
Eine erstaunliche Argumentation hat die Wirtschaftssenatorin bemüht: Die Pläne des Energietischs für ein neues Stadtwerk würden nicht funktionieren, sagte Cornelia Yzer (CDU) dem Tagesspiegel. Denn selbiges habe gar keine Erzeugungskapazitäten, müsste also Strom zukaufen. Solchen Stromhandel habe der Energietisch aber nicht vorgesehen, sagte Yzer.
Das ist falsch. Stromhandel als Betätigungsfeld eines Stadtwerks hat der Energietisch in seinem Gesetzentwurf nicht ausgeschlossen. Ganz anders als Yzers eigene Koalitionsfraktionen in ihrem 8080/starweb/adis/citat/VT/17/DruckSachen/d17-0704.pdf:Gegenentwurf zum Volksbegehren. Außerdem verfügt Berlin durchaus schon jetzt über Erzeugungskapazitäten, die ein Stadtwerk mit Strom ausstatten könnten, um Haushalte in Berlin zu versorgen.
So soll ein Stadtwerk Energiewende und Klimaschutz vor Ort voranbringen. Im Gesetzentwurf des Energietischs heißt es: „Die Stadtwerke tragen dazu bei, dass langfristig die Energieversorgung Berlins zu 100 Prozent auf der Grundlage dezentral erzeugter erneuerbarer Energien erfolgt.“ Langfristig ist auch die Machbarkeitsstudie „Klimaneutrales Berlin 2050“ angelegt, mit der Umweltsenator Michael Müller (SPD) Experten unter Leitung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung beauftragt hat. Ende des Jahres soll sie konkrete Wege aufzeigen, wie die Stadt ihre Treibhausgasemissionen von heute 6 auf weniger als 2 Tonnen CO2 pro Kopf senken kann. Zentrale Handlungsfelder haben die Forscher schon benannt: Umbau des Verkehrssektors, energieeffizientere Gebäude und eben: massiven Ausbau erneuerbarer Energien.
Noch unter Rot-Rot entwickelte der damalige Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) erste Pläne für eine Plattform, die die Energieaktivitäten bestehender kommunaler Unternehmen bündeln und für ein Stadtwerk nutzbar machen sollte. Demnach produzieren allein die 15 in der Mehrwert-Initiative zusammengeschlossenen Landesunternehmen, darunter etwa Wasser-, Verkehrsbetriebe und Wohnungsbaugesellschaften, Strom für 50.000 Haushalte, den sie nicht für ihre eigenen Aufgaben benötigen. Noch leuchtendere Augen bekommen Stadtwerke-Fans beim Blick auf die Berliner Reinigungsbetriebe (BSR).
Die Reinigungsbetriebe
Eine Rolle könnte vor allem das Müllheizkraftwerk der BSR in Ruhleben spielen, denn aus diesem lässt sich schon jetzt Ökostrom für 100.000 Haushalte erzeugen. Allerdings liefern die BSR den Dampf aus der Müllverbrennung bis mindestens 2018 an Vattenfall, weil der Konzern nebenan im Kraftwerk Reuter West über die nötige Turbine verfügt. Wollten die Stadtwerke einen Teil ihrer Energie aus Ruhleben gewinnen, so müsste das Land wohl in eine eigene Turbine oder gar ein eigenes Kraftwerk investieren.
Die BSR verfügen aber noch über andere Energiequellen. An ihren drei Deponiestandorten betreiben sie Blockheizkraftwerke und speisen daraus knapp 50.000 Megawattstunden Strom ins Netz ein – das reicht für 60.000 Haushalte. Außerdem liefern Photovoltaikanlagen an zehn Standorten derzeit etwa 650 Megawattstunden Strom. Insgesamt benötigen die BSR die Hälfte der von ihnen erzeugten Energie selbst. Den Überschuss gäbe es für ein Stadtwerk nicht umsonst: Die BSR müssen wirtschaftlich arbeiten, ihr Nebenprodukt Energie muss dem Kerngeschäft Abfallentsorgung zugute kommen. Das heißt, ihre Energieeinnahmen dienen dazu, die Müllgebühren für die Bürger niedrig zu halten. Geschenkt gäbe es die Energie auch nicht für ein Schwesterunternehmen in Besitz des Landes, wie es das Stadtwerk wäre. Ähnlich verhält es sich mit den Berliner Stadtgütern (BSG).
Die Stadtgüter
Diese entstanden, als Berlin im 19. Jahrhundert eine Kanalisation baute und Felder im Umland benötigte, um dort die Abwässer versickern zu lassen. Heute gehören Berlin über die BSG 17.000 Hektar Land in Brandenburg. Ideal, um zu realisieren, was Experten schon lange predigen: Berlin muss viel stärker mit seinem Umland kooperieren, will es die Produktion von erneuerbaren Energien steigern.
Derzeit erzeugen 28 Wind- und zwei Sonnenenergieanlagen auf den Flächen der BSG Strom für 40.000 Haushalte. Diese Zahl könnte wachsen, die BSG haben ein Konzept für den Ausbau der Energieanlagen auf ihren Flächen vorgelegt. Demnach könnten sie bis 2016 Strom für 114.000 der insgesamt 2 Millionen Berliner Haushalte, bis 2020 sogar für 200.000 bereitstellen. Für die erste Stufe kalkuliert das Unternehmen mit eigenem Kapitaleinsatz von 12,5 Millionen Euro.
Das ist der Haken: Denn Finanzsenator Ulrich Nußbaum plant in seinem Haushaltsentwurf, dass die BSG mehr Geld für den Haushalt liefern – durch höhere Gewinne oder Herabsetzung ihres Kapitals. Im BSG-Konzept heißt es: „Erfolgt dies, werden die Stadtgüter bewegungsunfähig.“ Die Potenziale des Unternehmens für eine dezentrale, grüne Stromversorgung Berlins würden hinfällig. Das Abgeordnetenhaus kann Nußbaums Pläne noch stoppen.
Rechnet man allein das Stadtgüterpotenzial mit den BSR-Kapazitäten zusammen, ergeben sich stattliche 360.000 Haushalte, die ein Stadtwerk bei entsprechenden Kooperationen bis Ende des Jahrzehnts mit Strom versorgen könnte.
Kunden gesucht
Berlin besitzt das meiste energiewirtschaftliche Wissen in der Berliner Energieagentur (BEA), an der das Land ein Viertel hält. Sie hat gerade ihr neuestes Projekt vorgestellt: Aus dem Großmarkt in der Beusselstraße soll ein Vorbild für die Energiewende werden, mit einem neuen Blockheizkraftwerk, der Umstellung des Fuhrparks auf Elektrofahrzeuge und dem Ausbau der jetzt schon größten Photovoltaikanlage Berlins.
Das Konzept dazu entwirft die BEA. Außerdem plant, baut, finanziert und betreibt sie für ihre Kunden Blockheizkraftwerke und Photovoltaikanlagen oder realisiert Maßnahmen zur Energieeinsparung. Mit dem Ertrag daraus verdient die BEA ihr Geld, 2012 insgesamt 905.000 Euro. Ihr nächstes Vorhaben: Zusammen mit der Investitionsbank will sie Hausbesitzer bei der energetischen Gebäudemodernisierung beraten.
BEA-Geschäftsführer Michael Geißler hat dem Abgeordnetenhaus (Link: Protokoll) auch schon mal vorgerechnet, wie aufwendig es ist, überhaupt Kunden zu finden, die einem Stadtwerk all den grünen Strom abkaufen: 100 Euro pro Neukunde kalkuliere die Branche, so Geißler. Wechselprämien und Werbekampagnen für das tragende Stadtwerke-Argument: Wir liefern nicht nur grünen Strom, wir reinvestieren das dafür bezahlte Geld in die Energiewende vor Ort. Amortisieren würden sich die Investitionskosten erfahrungsgemäß nach fünf Jahren, so Geißler.
Übertroffen hat das Hamburg. Das dort 2009 gegründete Stadtwerk verbuchte schon nach drei Jahren erstmals Gewinn: 800.000 Euro, vor allem, weil es mit 80.000 Stromkunden mittlerweile zu den drei größten Versorgern der Stadt gehört. Und in Stuttgart machten die frisch gegründeten Stadtwerke kürzlich vor, wie sich der Standortvorteil ummünzen lässt. Einen 101 Jahre alten Neukunden zitierten sie so: „Ich bin froh, dass ich auch mit über 100 Jahren meiner Heimatstadt noch etwas Gutes tun kann.“
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