taz-Serie Nachtzugkritik: Der geschenkte Tag
Das Auto ruht, die Familie auch. Eine nächtliche Fahrt mit dem slowakischen Autovlak ist erholsam. Der Zug ist selbst in der Slowakei ein Geheimtipp.
Ein Auto, vier Personen, Abfahrt in Poprad 21.53 Uhr, Ankunft in Prag 6.38 Uhr, macht 148 Euro. Mehr als eine Stunde hat der Kauf auf der Homepage der Slowakischen Staatsbahn nicht gedauert. Das „Vehicle coupon“ liegt ausgedruckt auf dem Tisch. Es sieht ehrlich gesagt ein bisschen dürftig aus.
Fünf Tage später steht die Familienkutsche, Rumänien und Ungarn liegen hinter ihr, am Abend an der Verladerampe im Bahnhof Poprad, Ostslowakei. Der Schaffner zieht die Stirn kraus. „Tickets?“ – „Keine Tickets, Vehicle coupon!“ – „Moment!“ Der Schaffner verschwindet. Keine Tickets, was nun?
Der eine Rangierer ist überaus mürrisch, der andere überaus freundlich. Beide rauchen wie die Schlote. Immerhin darf der Kombi auf den Waggon. Er hat einen Fahrschein, die Menschen noch nicht. Da steht er nun, im Familienjargon „Silberpfeil“, er kann sich die nächsten 600 Kilometer schonen.
Die Autos wiegen sich im Takt
„Gute Reise!“, kräht der freundliche Rangierer und winkt. Dann setzt sich Autovlak in Bewegung, angekoppelt an den „EN 444 Slovakia“, der von Košice kommt. Ein Schlafwagen, halbleer, zehn Personen, und ein Autowagen, gerade vier tschechische und slowakische Fahrzeuge wiegen sich im Takt, der „Silberpfeil“ mittendrin. Die Familie, aufgeteilt in zwei Abteile, wiegt sich auf weichen Polstern. Auf dem Gang ist es bald still. Zwei Dienstreisende, zwei Paare und eine Familie aus Berlin schauen noch einmal auf die Zweieinhalbtausender der Hohen Tatra.
Nachtzüge sind umweltfreundlich – und vom Aussterben bedroht. Die taz stellt deshalb Verbindungen mit Schlaf- oder Liegewagen vor. Denn viele Angebote sind kaum bekannt. Wir schreiben aber auch, was besser werden muss, damit sie für mehr Menschen attraktiver werden.
Alle vorherigen Folgen finden Sie auf www.taz.de/nachtzugkritik.
Später bringt der Schaffner die Tickets. Achtzehn Euro kostet der Schlafplatz pro Nase zusätzlich, macht alles in allem 220 Euro für eine Reise von Poprad nach Prag, samt Übernachtung und Pkw und eine gesparte Tankfüllung. Hinzu kommen Kaffee, Wasser und Croissants. Ein guter Preis. Die slowakische Staatsbahn dürfte hingegen kaum Gewinn machen. Der Autovlak ist so ein Geheimtipp, dass ihn selbst in der Slowakei wenige kennen.
Der Zug rattert durch die Nacht, immer an der Waag entlang. Der Mond lässt den Fluss funkeln. Auf einem Felsen taucht kurz die Burg Strečno auf, ein slowakisches Nationalheiligtum. Wie auf einer spärlich beleuchteten Drehbühne gleitet die Landschaft vorbei. Sehr erholsam, sehr angenehm.
Noch angenehmer aber war der geschenkte Tag zuvor mit einer Wanderung auf die Zipser Burg, ein mächtiger Kegel, und einen Spaziergang durch Levoča mit Jakobskirche und dem weltgrößten gotischen Schnitzaltar. Alles sehr erhaben, alles Weltkulturerbe. Und Eis für die Kinder war auch noch drin, so wie das Bier für den Fahrer am Abend. Danke, Autovlak!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin