taz-Serie "Acht für 2008" - Der Biobauer: "Keine kommt an Linda ran"
Karsten Ellenberg ist Biobauer. Er kämpft für seine Lieblingskartoffel. Und schaut ihr gerne beim Wachsen zu.
taz: Sie wollen das Todesurteil für Linda nicht hinnehmen, Herr Ellenberg?
Karsten Ellenberg: Linda lebt! Wir werden sie retten.
Linda ist eine Kartoffel. Wir haben Klimawandel, Kinderarmut - und Sie starten eine "Rettet Linda Kampagne". Was soll das?
Der Kartoffelzüchter Europlant will Linda vernichten, weil er meint, mit anderen Sorten mehr Geld zu verdienen. Wir wollen uns nicht dem Diktat eines Unternehmens unterwerfen, das eigennützig handelt. Wir wollen nicht, dass Konzerne bestimmen, was wir Bauern produzieren müssen und was Verbraucher essen.
Herr Ellenberg, eine Kartoffel ist doch letztlich nur eine staubige, unförmige Knolle.
Sie sind ja lustig! 2008 ist das Jahr der Kartoffel. Das haben die Vereinten Nationen ausgerufen, weil die Kartoffel als Grundnahrungsmittel viel gegen Hunger auf der Welt leisten kann. Kartoffeln sind nahrhaft, sind lecker, sind eine dankbare Frucht. Da steckt viel, viel drin.
Essen Sie Nudeln?
Mal Nudeln, mal Pizza, am liebsten aber jeden Tag Kartoffeln.
Immer Linda?
Ich esse auch andere Sorten. Aber ich sagen Ihnen: Keine kommt an Linda ran.
Sie ziehen vor Gericht, um Linda zu retten. Sie suchen doch den Streit.
Nein, es geht darum, dass Verbraucher und Bauern mitreden dürfen, was auf den Teller kommt. Dieses Grundrecht lassen wir uns nicht nehmen. Es ist wichtig dafür zu streiten. Ich bin jetzt seit drei Jahren damit beschäftigt. Manchmal geht der ganze Tag drauf. Aber wenn wir etwas erreichen, kann man Luft holen und sagen - es hat sich gelohnt.
Sehen Sie sich als Anführer einer Kartoffelrevolution?
Naja, Anführer. Wir sind mehr als 1.000 Berufskollegen. Dazu kommen Slowfood, Verbraucherinitiativen, Umweltgruppen.
Wer ist der Böse in der Geschichte?
Vielleicht ist keiner der Böse, ich will fair bleiben. Aber es ist nicht sauber, wenn ein Zuchtunternehmen die Sorte Linda im Jahre 2004 noch als Premiumsorte beschrieben hat, die Sorte beliebt gemacht hat und Verbraucher richtig in Abhängigkeit gekommen sind...
... Kartoffelabhängigkeit? Sie übertreiben!
Doch, die Leute sind richtig süchtig nach Linda. Dass der Züchter Europlant von einem Tag auf den anderen sagt, die Sorte taugt nicht, sie ist schlecht, die anderen sind besser, das ist doch komisch.
Europlant gehört nun mal die Marke Linda. Da es so etwas wie ein Copyright oder Patent auf Kartoffeln gibt, darf das Unternehmen bestimmen. Oder etwa nicht?
Nach 30 Jahren erlischt der Sortenschutz ähnlich wie ein Patent, und deshalb können Klassiker irgendwann gebührenfrei verkauft werden. Der Züchter erhält keine Lizenzen mehr. Wer hunderttausende Euro und ein Jahrzehnt Arbeit in die Entwicklung einer Kartoffelvariation steckt, der soll anschließend auch daran verdienen. Das ist nur fair. Doch wenn das eines Tages refinanziert ist, muss die Allgemeinheit die Sorten nutzen dürfen. Europlant aber hat die Sorte einfach abgemeldet, oder besser gesagt: die Zulassung zurückgezogen. Da kommt derzeit keiner mehr ran. Das ist Taktik...
...oder Kartoffelbürokratie. Die Gnadenfrist für Linda ist Mitte 2007 ausgelaufen. Jetzt gibt es nur noch ein paar Rest-Linda. Sie haben nun die Neuzulassung beantragt. Wie?
Das ist einfach. Man füllt für das Bundessortenamt in Hannover ein paar Zettel aus, begründet den Antrag, dokumentiert die Herkunft der Kartoffel. Die Behörde prüft Linda dann bundesweit auf zehn bis fünfzehn Versuchsfeldern.
Was wird da geprüft?
Linda muss beweisen, dass sie an der Küste oder in den Bergen, auf Sand- oder Lehmboden gut wächst. Nach zwei Jahren berät dann ein Ausschuss. Im Herbst 2008 erwarten wir die endgültige Entscheidung. Nach den Statuten muss die Sorte "homogen, beständig und unterscheidbar sein". Und: Sie muss einen landeskulturellen Wert haben, etwas Besonderes.
Beschreiben Sie mal bitte die inneren Werte von Linda.
Linda wächst schneller als Unkraut, sie ist sehr ertragreich, sie lässt sich lange im Keller lagern. Sie hat eine schöne gelbliche Fleischfarbe, sie ist fest kochend und sie hat einen schönen cremig-buttrigen Geschmack. Wir Landwirte möchten die Sorten anbauen, die dem Verbraucher schmecken. Damit wir weiter am Markt bleiben können.
Sie nutzen hübsches Vokabular, aber in Wahrheit wollen Sie nur dicke Erträge einfahren. Linda ist teurer als andere Sorten?
Sicher bin ich als Landwirt auch Unternehmer. Verbraucher möchten aber auch Landwirte haben, die ihre Lieblingsknollen anbauen. Das ist legitim. Linda kostet pro Kilo vielleicht zwei Cent mehr als andere Kartoffeln. Sie bringt es aber auch im Geschmack. Sie ist im Vergleich zu, sagen wir, den Bamberger Hörnchen eine preiswerte Gourmetsorte.
Das Unternehmen Europlant sagt, Linda sei eine alte Dame, die ihre Zeit gehabt hat. Jetzt sei das Zeitalter von Belana, Leila oder Solana angebrochen.
In den letzten Jahren essen die Deutschen immer weniger Kartoffeln. Gegenwärtig verspeist der Deutsche nicht mal mehr ein Drittel der Kartoffelmenge, die nach dem Krieg üblich war: pro Kopf nur 66,5 Kilo im Jahr. Da müssen wir mit guter Qualität gegenhalten. Und Linda ist einfach besser.
Wie sieht denn Ihr Tag mit Linda aus, Herr Ellenberger?
Manchmal liege ich in der Hängematte in meinem Gewächshaus, trinke einen Tee und freue mich über die Pflänzchen.
Sie schauen Ihrer Kartoffel beim Wachsen zu?
Leider habe ich nur viel zu selten Zeit dazu. Wir haben fast das ganze Jahr zu tun. Im Winter müssen wir die Kartoffeln verkaufen. Wir leben von ihnen. Urlaub haben wir allenfalls mal im Sommer, wenn die Kartoffeln auf dem Feld stehen.
Wie ziehen Sie Ihre Kartoffel groß?
Als erstes braucht man Saatkartoffeln. Entweder man kauft sie ein oder man hat sie selbst aus der letzten Ernte gezogen. Die werden nochmal kontrolliert, damit keine faulen Exemplare oder Steine dazwischen sind. Dann kommen sie in Vorkeimkisten. Das sind so kleinere Kisten, wo zehn bis zwölf Kilo Kartoffeln reinpassen. Die werden übereinander gestapelt und ins Gewächshaus gestellt, wenn es draußen nicht mehr friert. Dort keimen sie.
Und wann kommen sie nach draußen?
Zwischen Ende März und Mitte Mai kommen sie in die Erde. Der Boden darf nicht zu kalt sein. Auch wenn es zu nass ist, darf man da nicht rumwühlen. Man muss also Geduld haben. Mit dem Pflanzen haben wir zwei Wochen zu tun. Die Felder müssen vorher bearbeitet werden. Bei uns kommt Pferdemist und Gründünger drauf. Die Kartoffeln werden mit Maschinen vorsichtig in die Erde gelegt. Und etwas Boden wird angehäufelt.
Warum?
Die neu wachsenden Knollen dürfen nicht ans Licht kommen. Sonst werden sie grün und dann bildet sich der Wirkstoff Solanin. Der ist giftig. Die Pflanze blüht dann schön im Juni. Manche haben sehr große Blüten, andere feine kleine, sie sind lila, rosa, blau oder weiß. Das ist wie ein großer Garten.
Wann wird endlich geerntet?
Die Ernte beginnt im Juli mit Frühkartoffeln, das sind Gloria, Leila, Auralia. Linda ist mittelfrüh, also im August reif. Einige werden zu Stärke oder zu Schnaps verarbeitet, das sind spätreife Sorten, die erst Ende Oktober vom Acker geholt werden. Kartoffeln schaffen Arbeit. Wir sind ein Familienbetrieb, haben aber auch vier Leute angestellt.
Es gibt 200 Kartoffelsorten in Deutschland. Vielen ist es egal, welche Kartoffel in Pommes, Reibekuchen oder Brei steckt.
Schmeckten sie alle gleich, würde ich sagen: Okay. Das tun sie aber nicht. Kartoffelbrei aus Granola zum Beispiel hat ein kräftiges Aroma, Linda wirkt hingegen cremig buttrig. Lassen Sie sich verschiedene Kartoffeln auf der Zunge zergehen, sie werden die andere Körnigkeit, Struktur, Festigkeit des Fruchtfleisches merken. Und achten Sie auf die Farbe: Kartoffeln können sogar blau sein. Da sind Anthociane drin, wie bei Rotkohl oder Rotwein. Das kann man lernen und genießen, wie beim Wein auch. Eine neue Kartoffelkultur wäre schön.
Kartoffelkultur? Verlangen Sie nicht etwas viel vom Kunden vorm Regal?
Kartoffeln sind eine Delikatesse. In unserem Laden haben wir 26 Sorten. Allen Kunden macht es Spaß, bunte Kartoffeln, hörnchenförmige oder dicke Kartoffeln zu probieren. Anders als im Discounter können sie bei uns den Namen groß auf dem Etikett finden. Dann wissen sie beim nächsten Mal auch, ob sie wieder die leckere Sorten kaufen.
Grünen-Politikerin Renate Künast hat sich längst als Linda-Liebhaberin geoutet. Starköche backen Linda-Herzen. Wie haben Sie diese Linda-Groupies gefunden?
Linda ist einfach beliebt. Wir Landwirte waren empört - und plötzlich waren es die Verbraucher auch. Medien haben über unsere Rettungskampagnen berichtet. Dieses Echo hat uns selbst überrascht.
Sie haben sogar Linda-Freunde in Großbritannien gemacht?
Ja. Linda ist eigentlich eine deutsche Sorte. Aber mittlerweile ist sie selbst unter britischen Verbrauchern bekannt. Das liegt an Freunden, die wir seit langem in Schottland haben. Die helfen uns. Vor kurzem haben wir auch dort die Zulassung von Linda beantragt. Wenn sie auf der Insel gezüchtet werden darf, dann steht ihrer Vermarktung nach Europarecht auch hierzulande nichts mehr im Wege. Nicht in allen Ländern ist die Zulassung so kompliziert wie hier.
Wer bestimmt, was in unseren Kochtöpfen landet?
Vor 25 Jahren gab es weltweit noch mehr als 7.000 Saatgutfirmen, die alle nicht mehr als ein Prozent des Marktes inne hatten. Heute haben wir zehn Konzerne, die schon mehr als 50 Prozent des globalen Marktes ausmachen und Milliarden Euro im Jahr umsetzen. Die Bestimmer heißen zum Beispiel Syngenta, Pioneer, Monsanto.
Für welchen Trend im Agrargeschäft steht Ihr Kartoffelkrieg?
Linda ist ein Präzedenzfall für alle Kulturpflanzen, für Äpfel, für Möhren, für Getreide, Raps oder Mais. Die Konzerne wollen weniger Sorten und pro Sorte mehr Masse. Dann ist die Logistik einfacher. Sie nehmen die Sorten immer dann vom Markt, wenn sie für jeden Bauern frei werden. Dann haben die Konzerne alles in der Hand. Derzeit gibt es bundesweit vielleicht noch zehn Landwirte, die alte Kartoffelsorten hegen und pflegen.
Biobauer gegen Linda-Monopolisten - klingt aufregend. Leider ist Linda selbst Massenware: In Schleswig-Holstein hatte sie 50 Prozent Marktanteil.
Sie gehört tatsächlich zu den Top-Ten, aber sie wird verdrängt. Anfang der siebziger Jahre war sie unbekannt. In den Achtzigern hat sie den Bauern Probleme bereitet. Sie verfault, wenn sie zu viel Kunstdünger bekommt. Sie ist ertragreich, wenn sie wenig gedüngt wird. Als die Bauern das merkten, setzte sie sich durch. Mittlerweile schälen, waschen, schneiden wir Linda seit 30 Jahren.
Europlant befürchtet Qualitätseinbußen, wenn jeder x-beliebige Bauer Kartoffeln züchtet.
Die Qualität leidet nicht. Nehmen Sie Hansa. Das ist die Mutter von Linda. Die gibt es seit 1958. Sie kann längst von allen Bauern gezüchtet werden. Europlant hat sie auch noch im Programm. Auch Sieglinde von 1935 verkaufen Europlant und andere Zuchtunternehmen heute noch.
Was wäre das Beste, was passieren könnte?
Ich würde mich freuen, wenn Europlant Linda wieder produzieren würde. Wir werden das mit anderen Landwirten auch machen, aber wir können das nicht in denselben Mengen.
Wird Linda überleben?
Es wäre wirklich lächerlich, wenn Linda im kommenden Jahr nicht wieder zugelassen wird - zumal im Mai in Bonn die UN-Konferenz zur biologischen Vielfalt stattfindet. Wenn Deutschland die populärste Kartoffel vom Markt nimmt, wäre das doch völlig unglaubwürdig. Ja, Linda wird leben.
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