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taz-Chefredaktion zur Seitenwende taz bleibt taz

Am 17. Oktober 2025 erscheint die letzte werktäglich gedruckte Ausgabe der taz. Warum wir kein Papier brauchen, um die wichtigste linke Tageszeitung zu bleiben.

V.l.n.r. Katrin Gottschalk, Barbara Junge, Ulrike Winkelmann Foto: Anja Weber

Aus der taz | Vor fast genau 46 Jahren erblickte die erste taz das Licht der Welt. Die Nullnummer 1. Die Produktion dieser ersten 16 Seiten dauerte vier Tage, rund 50 Leute aus etwa 10 Städten und Gruppen hatten daran gearbeitet. Die taz war von Anfang an ein Gemeinschaftsprojekt.

Im Editorial auf Seite 2 wurde das damals alles erklärt. Es endete kämpferisch: Wenn man wolle, dass die taz weiter existiere, schrieben die Kolleg*innen, solle man sich beteiligen, in welcher Form auch immer. Denn: „Die taz ist kein Papiertiger!“

Ein Papiertiger ist eine Person oder eben eine Zeitung, die sehr wichtig und relevant tut – es in Wahrheit aber nicht ist. Relevanz bemisst sich nicht auf dem Papier. Sie entsteht durch das, was hängen bleibt, was Veränderung bewirkt – bei den Mächtigen, aber auch bei den Leser*innen.

Kein Papiertiger sein bedeutet, wirken wollen. Und der Journalismus der taz wirkt.

Kippen, unterstützen, aufdecken

In diesem Sommer wollte die Bundeswehr mal eben vermeintlich besonders erfolgreiche U-Boot-Kommandanten und Jagdflieger aus der Wehrmacht ehren – egal ob sie bei der NSDAP oder SS waren. Hauptsache, sie hatten sich beim Aufbau der Bundeswehr verdient gemacht. Die taz kritisierte diese Überlegungen mit Nachdruck – eine Woche später wurde das Vorhaben gekippt.

Im Sommer 2022 schaffte die Bundesregierung von SPD, den Grünen und der FDP das sogenannte Werbeverbot für Abtreibung ab, was de facto ein Informationsverbot war. Jahrelang hatte die taz das angeprangert wie kein anderes Medium und die Ärztin Kristina Hänel in ihrem Kampf gegen das Gesetz begleitet.

Ein ruandischer Terrorchef lebte unbehelligt in Deutschland und steuerte von hier aus seine Milizen im Kongo, bis wir dies 2008 aufdeckten. Viele Artikel und Gerichtsverhandlungen später wurde genau dieser Terrorchef zu 13 Jahren Haft verurteilt.

46 Jahre später die wichtigste linke Stimme

Wir sind stolz darauf, die besten Titelseiten in Deutschland zu machen. Einen Titel wie am 14. September, auf dem sich 32 Prominente für ein offenes Deutschland aussprechen – das macht nur die taz.

Unsere Titel werden herumgezeigt, herumgeschickt, und nicht zuletzt morgens im Fernsehen regelmäßig eingeblendet – sie sind offensichtlich inspirierend. In den Bundesministerien werden wir neben FAZ und Süddeutscher Zeitung gelesen, in der Presseschau im Deutschlandfunk werden Sie fast allmorgendlich an unsere Meinungsstärke erinnert. Die taz bietet immer die andere Perspektive, den anderen Blick, sie hat sich unverzichtbar gemacht.

Wer hätte vor 46 Jahren gedacht, dass die taz einmal ganz selbstverständlich die wichtigste linke Stimme in der deutschen Presselandschaft sein würde?

Manche bezeichnen uns als einen Haufen von Idealist*innen. Es ist die Leidenschaft für die Sache, die uns hier im taz-Haus verbindet. Immer wieder, wenn Kol­le­g*in­nen aus anderen Medien zu uns ins Haus kommen, stellen sie überrascht fest, wie viele tazz­le­r*in­nen in der Konferenz sitzen. Woanders bleiben viel mehr Menschen seit Corona im Homeoffice.

taz sorgt sich um ihre Leute

Das liegt bei uns schon zu einem großen Teil an dem wahnsinnig guten Essen unserer Kantine – aber eben auch an unserer Gemeinschaft, zu der es gehört, sich zu begegnen, sich auszutauschen. Dieses Gefühl von Wir und Miteinander: Das wirkt – auch nach innen.

Hier entstehen Freundschaften fürs Leben, Beziehungen, Ehen, Kinder. Das ist natürlich häufig so am Arbeitsplatz, aber wir bilden uns ein, dass dies in der taz besonders ist. Wir trösten einander auch, wir trauern miteinander. Die taz sorgt sich um ihre Kol­le­g*in­nen sogar bis über den Tod hinaus.

Seit dem letzten Jahr haben wir hier in Berlin auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg eine Grabstätte für tazz­le­r*in­nen geschaffen. Denn es gab und gibt immer wieder Kol­le­g*in­nen und Ehemalige, die ohne sonstige familiäre Bezüge sterben, deren längste oder vielleicht auch stärkste soziale Bindung die zur „taz-Familie“ war.

Aber natürlich feiern wir auch das Leben und den Nachwuchs: Die taz ist eine Zeitung, die sich komplett von ihren Vo­lon­tä­r*in­nen übernehmen lässt – wie bei der Utopie-Ausgabe im letzten Herbst, die von den jungen Kol­le­g*in­nen gemacht wurde.

Eine Utopie, die auf die Wirklichkeit wirkt

Die taz ist selbst eine Utopie, die jeden Tag aufs Neue mit den realen Gegebenheiten umgeht und diese zum Teil mitverändert: nicht nur politisch, nicht nur bei unseren Le­se­r*in­nen oder bei uns selbst – die taz wirkt auch in die Gesellschaft hinein.

1980 führte die taz eine der ersten Frauenquoten in Deutschland ein – 50 Prozent Frauen in der ganzen Redaktion! Die erste Quote per Gesetz wurde ganze 35 Jahre später – 2015 – verabschiedet, für mickrige 30 Prozent Frauenmachtanteil. Die taz-Redaktion wird heute zu 65 Prozent von Frauen geführt. Das ist herausragend in der deutschen Medienlandschaft. In der FAZ sind es gerade einmal 23 Prozent, bei der Zeit 40 Prozent, bei der Süddeutschen immerhin 45 Prozent.

In die Gesellschaft hinein gewirkt hat die taz auch im Herbst 2022. Als im Iran die Männer und vor allem die Frauen gegen Unterdrückung und Unrecht auf die Straße gingen, blockierte das iranische Regime den Zugang zum Internet auf unterschiedlichen Wegen. Ein Redakteur ergriff die Initiative, und unsere Technikabteilung war sofort mit an Bord.

Sie setzten einen Proxyserver für den Messengerdienst Signal auf – der ist wie WhatsApp, nur gemeinnützig und transparent. Das hat geklappt: Die Menschen konnten dann über diese technische Umleitung miteinander kommunizieren.

Kein Papiertiger

Also nein: Die taz ist alles andere als ein Papiertiger.

Unser Journalismus ist vollständig unabhängig von jeglichen wirtschaftlichen Interessen. In so vielfältigen Formen manifestiert er sich in der demokratischen Öffentlichkeit – die täglich gedruckte Zeitung ist nur eine davon. Diese haben auch nur noch 16.000 Menschen abonniert. Allein schon unser wöchentlicher Podcast, der Bundestalk, hat bereits 25.000 Abonnent*innen. Unsere Webseite erreicht im Monat über 3 Millionen Leser*innen.

Egal, wo Sie von uns lesen oder hören – da ist immer taz drin. Und da wird immer taz drin sein. taz Journalismus wirkt – mit oder ohne Papier.

Als erste überregionale deutsche Tageszeitung haben wir benannt, dass die täglich gedruckte Zeitung keine Zukunft hat – und steigen nun auch selbstbewusst und in Stärke aus diesem Geschäft aus. Nicht weil wir wollen, sondern weil es aus wirtschaftlichen Gründen verrückt wäre, es nicht zu tun. Das können wir hier ganz offen sagen.

Seitenwende?

Was ist die Seitenwende und warum machen wir das? Unser Info-Portal liefert ihnen weitere Hintergründe, Einblicke und Ausblicke: taz.de/seitenwende

Wir haben uns gut vorbereitet

Die Auflagen aller Tageszeitungen gehen dramatisch zurück, gleichzeitig erhöhen sich die Produktions- und Vertriebskosten, sowohl aufgrund gestiegener Fixkosten für Strom und Papier als auch wegen höherer Kosten für Herstellung und Auslieferung bei einem stetig schrumpfenden Auftragsvolumen.

Seit sechs Jahren sind wir mit Ihnen, unseren Le­se­r*in­nen und Genoss*innen, im Gespräch über diesen Ausstieg. Manche von Ihnen sind schon ganz mürbe davon. Wir wurden von Ihnen über die Jahre immer wieder gefragt: Wann ist es denn so weit? Jetzt gibt es das Datum.

Wir stellen zum 17. Oktober 2025 den täglichen Druck der Zeitung ein. Unsere Wochenzeitung, die wochentaz, wird wie bisher samstags auf Papier erscheinen und die ganze Woche am Kiosk liegen, aber die werktägliche, abgeschlossene Ausgabe wird digital und geht in die bereits jetzt abonnierbare App für das Smartphone und den Rechner zu Hause.

Wir versichern Ihnen: Wir haben uns gut vorbereitet auf das, was jetzt kommt. Vor Jahren schon lautete die Leitzeile einer Werbekampagne der taz: „taz bleibt“. Nichts weniger gilt heute. Einerseits wirtschaftlich – aber auch inhaltlich: taz bleibt taz. Wir bleiben, wer wir sind.

Die taz ist kein Papiertiger, sondern die wichtigste progressive, linke Stimme in der deutschen Presselandschaft. Und das wird sie auch bleiben. 🐾

Ulrike Winkelmann, Barbara Junge und Katrin Gottschalk sind die Chefredakteurinnen der taz