taz-Aufsichtsrat zum Tod Ströbeles: Danke, Christian
Anwalt, Politiker, Aufklärer: Wenn es einen Retter oder Moderator brauchte, war Christian Ströbele da. Sein Vermächtnis ist uns Auftrag.
Christian Ströbele war einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben, einer der wichtigsten für die taz und einer der wichtigsten für diese Republik. Und das Ganze sage ich, ohne dass ich ihm je besonders nahegekommen wäre.
Denn Christian Ströbele war wichtig für diesen Rechtsstaat, als Verteidiger der RAF – aber das war vor meiner Zeit. Dass er entscheidend war für die Gründung und die Existenz der taz einige Jahre später, hat mich schon politisch bewegt. Aber darüber können andere noch berufener schreiben.
Dass Christian Ströbele wichtig war für die taz-Genossenschaft, für ihre Gründung und ihre jungen Jahre, das habe ich selbst hautnah erlebt. Und ohne diese Genossenschaft wäre ich nicht der, der ich heute bin. Wäre ich nicht so lange taz-Redakteur gewesen, hätte das Ressort Wirtschaft & Umwelt nicht mitgründen können, die taz-Genossenschaft nicht erlebt als florierendes Unternehmen und als Ausrufezeichen für eine andere, solidarische Form zu wirtschaften. Wäre ich nicht Aufsichtsrat. Wenn es einen Retter oder Moderator brauchte, auch als es in der Frühzeit einen Aufsichtsrat der taz-Genossenschaft brauchte, Christian Ströbele war da. Unsere Genossenschaft wird in diesem Jahr 30 – auch sein Verdienst.
Seine Botschaft: Linke Politik ist mehrheitsfähig
Und dann war da noch der andere Christian Ströbele, der Politiker. Der Abgeordnete, der zeigte, wie Demokratie in einer Partei funktioniert: „Ströbele wählen heißt Fischer quälen.“ Und der dann zeigte, dass linke und grüne Politik in diesem Land mehrheitsfähig sein kann. Dass Grüne damit einen Wahlkreis gewinnen können, viermal hintereinander in Berlin-Kreuzberg und Friedrichshain – mit und gerade zu Beginn auch gegen andere Granden in der Partei.
Das alles hat mit seinen Überzeugungen zu tun, aber vielleicht noch mehr mit seiner persönlichen Integrität, die auch Menschen mitgenommen hat, die vielleicht nicht 100 Prozent von seinen Positionen überzeugt waren. Christian Ströbeles Botschaft an uns alle: Linke Politik ist mehrheitsfähig, wenn sie zuhört und mit persönlicher Integrität einhergeht.
In den vergangenen 18 Jahren bin ich diesem Christian Ströbele als Aufsichtsrat begegnet, habe ihn hinter den Kulissen wirken sehen und habe seine Arbeit, seinen Willen zur Aufklärung und seinen ungebrochenen Elan gesehen. Ich habe seinen Einsatz für Edward Snowden und Julian Assange bewundert und seine Fähigkeit, nicht nur solidarisch, sondern dabei auch immer politisch wirksam zu sein. Mit Snowden für Angela Merkel gegen US-Überwachung, das war Christian Ströbele.
Er machte uns wissend, gab journalistisches Handwerkszeug
Zuletzt hat er diese Fähigkeit bei der Aufklärung des Attentats am Breitscheidplatz bewiesen. Christian Ströbeles Theorie: Den Attentäter Anis Amri, Kokser, Kleindealer mit dauerhaften Kontakten zum „Islamischen Staat“ (IS), hätten die Sicherheitskräfte nicht festnehmen wollen, weil dadurch aufgeflogen wäre, wie genau sie den IS in Europa und Nordafrika beobachteten. Stattdessen hat der V-Mann des Verfassungsschutzes Anis Amri als Chauffeur durch die Republik gefahren – am Ende dann auch vom nordrhein-westfälischen Kleve nach Berlin.
Er hat es öffentlich gemacht – er machte uns wissend, gab uns politisches und journalistisches Handwerkszeug.
Christian Ströbele wird mir fehlen, wird uns fehlen. Sein Vermächtnis ist uns Auftrag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern