Söder bei Reichelt-Portal „Nius“: Keine Plattform für Söder
Markus Söder lässt sich von „Nius“ interviewen und legitimiert so die Hetzkampagnen des Portals. Wo ist die Brandmauer, hinter der auch Söder steht?

E rinnern Sie sich noch an den ACAB-Pulli von Jette Nietzard, der Vorsitzenden der Grünen Jugend? Okay, das ist bereits einen ganzen Monat her und wir sind jetzt schon sieben öffentliche Erregungszyklen weiter, aber vielleicht habe ich trotzdem etwas Neues für Sie: Der Skandal um den feschen Pulli, den Nietzard auf Instagram postete, geht auf eine rechtsextreme Kampagne zurück.
Glauben Sie nicht? Dann schauen Sie sich einmal die Abfolge der Medienberichte zum Pulli an:
• 24. 5., 12.29 Uhr: Der erste Artikel zum Thema erscheint. Und zwar nicht irgendwo, sondern im Deutschland-Kurier, der Hauspostille der AfD.
• 24. 5., 14.53 Uhr: Den Hinweis aus der rechten Szene nimmt das rechte Kampagnenportal Nius sehr gern auf. Es veröffentlicht den zweiten Artikel zum Thema.
• 24. 5., 22.54 Uhr: Wenn Nius berichtet, folgt bald die große Schwester. Die Bild nimmt das Thema auf und dreht es über die kommenden Tage weiter, die großen Medien Deutschlands folgen. Kampagne perfekt.
Söder legitimiert rechte Hetze
In letzter Zeit schaffen es Rechtsextreme routiniert, ihre Themen in der Öffentlichkeit zu setzen. Die Abfolge: Erst kommt die AfD, dann Nius, dann nach der Springerpresse der gesamte Mainstream – von der Nische in die Mitte der Gesellschaft, die perfekte Nazi-Pipeline.
Nius kommt dabei eine Scharnierfunktion zu: Das Hetzportal des Ex-Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt hat eine besondere Nase für rechte Kampagnen. Das Portal ist nicht nur krawallig, sondern auch offen für alle Bereiche des rechten Spektrums. Von Extremisten bis geschmacklosen Konservativen, Nius spricht sie alle an.
Umso schlimmer, dass der bayerische Ministerpräsident Markus Söder Reichelts Portal jetzt ein Interview gegeben hat. In AfD-Manier erklärt Söder dort, Migration müsse begrenzt werden. Kritik an dem Interview will er nicht gelten lassen. Nius finde „mitten in der bürgerlichen Gesellschaft statt“, sagt Söder. Das mag stimmen – wenn die Ränder der bürgerlichen Gesellschaft aus Konservativen und Nazis bestehen, ist Nius in der Mitte. Aber die Konsequenz müsste sein, Nius daraus zu verdrängen.

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Wer mit Nius redet, legitimiert seine Hetzkampagnen, etwa gegen einen der Berliner Verwaltungsrichter, der kürzlich über die rechtswidrigen Zurückweisungen an den deutschen Grenzen urteilte, oder gegen zivilgesellschaftliche Organisationen wie Pro Asyl.
Geld spielt keine Rolle
Nius kann weitgehend unbehelligt hetzen. Um Gewinne oder Rentabilität muss sich Reichelt keine Sorgen machen, denn er ist üppig mit Geld des Superreichen Frank Gotthardt ausgestattet. Wenn was nicht klappt, wird der Verlust abgeschrieben und weiter investiert. Und auch der Staat wird Nius nicht in die Hetzparade fahren, das hat spätestens das gescheiterte Compact-Verbot gezeigt. Solange eine Publikation nicht zu 100 Prozent verfassungsfeindlich ist, darf sie bleiben.
Zeit für die Zivilgesellschaft, den Druck zu erhöhen: Wichtigsten Mittel im Umgang mit rechten Kampagnen ist das deplatforming, also der Ausschluss von Publikationen aus dem Kreis des akzeptierten Umgangs. Nius zitiert man nicht und mit Nius spricht man nicht, höchstens vor Gericht. Und auch nicht mit denen, die mit ihnen kooperieren. Wenn Söder Nius Interviews gibt, dann verläuft die Brandmauer zwischen uns und Söder.
Dass deplatforming funktionieren kann, zeigt eine progressive Kampagne gegen das rechtsextreme Compact-Magazin. Wo der Staat versagte, siegte im Januar 2024 nämlich die Zivilgesellschaft: Mit einer Petition und öffentlichem Druck erreichte sie, dass die großen Ketten der Bahnhofsbuchhandlungen Compact nicht mehr verkaufen. Die Plattform ist weg, Compact war weniger in der Öffentlichkeit zu sehen. Zeit, dass Ähnliches mit Nius auch passiert.
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