piwik no script img

Social-Media-VerbotSperrt sie nicht aus!

Johannes Drosdowski
Kommentar von Johannes Drosdowski

CDU-Politiker*innen fordern ein Social-Media-Verbot für Kinder. Statt digitalen Rückzug, braucht es mehr Medienkompetenz und Unterstützung.

Posten, liken, scrollen: Ein Social-Media-Verbot ist die falsche Strategie, um Kinder zu schützen Foto: Maskot/DEEPOL/plainpicture

K inder sollen „Frei von Social Media“ aufwachsen können. Das wünscht sich Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU). Und meint damit eigentlich, Menschen unter 16 Jahre aus einem großen Teil der Medien- und damit Informationslandschaft auszuschließen.

Da kann einem schon flau werden. Die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz sieht ein Verbot dieser Zugänge als „einen Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention“. Es wäre das Gegenteil von dem, was es braucht: besseren Kinder- und Jugendschutz. Minderjährige werden auf den Plattformen mit Inhalten konfrontiert, vor denen sie dringend bewahrt werden müssen: Videos voller Blut und Tod, Hate Speech, sexualisierte Gewalt. Sie werden radikalisiert, gegroomt, psychisch verletzt. Um sie davor zu beschützen, braucht es andere Maßnahmen als einen Ausschluss.

Auf die kommt allerdings nicht, wer emotionalisiert. Karin Prien, Bundesministerin für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (CDU), sagte der Welt Anfang Juni: „Wir lassen unsere Kinder doch auch nicht ins Bordell“. Ein schnittiges, tolles, verruchtes Bild!

Schutz von Kindern und Jugendlichen ist eine grundlegende Aufgabe von Staat wie Gesellschaft. Daher gibt es auch Regeln, die Kinder schützen sollen: Rauchen erst ab 18, Trinken erst ab 16 oder 18, Arbeit erst ab 14.

Nachteile von Alterskontrollen

Doch wir müssen bei Social Media Verboten abwägen. Wollen wir Minderjährige vor Mobbing, Radikalisierung, sexualisierter Gewalt auf Social Media schützen? Klar! Doch sind wir auch bereit, im Gegenzug ihre Daten weiterzugeben? Denn bei einer Alterskontrolle werden unweigerlich an einigen Stellen Identitäten – wenn auch verschlüsselt – mit Accounts verbunden werden. Namen, Geburtsdaten, digitales Verhalten und damit wiederum verknüpfte Daten etwa über Aufenthaltsorte. All diese Informationen befinden sich dann außerhalb ihrer Reichweite, aber immer in Reichweite von Ha­cke­r*in­nen und missbräuchlichen Staaten. Im Zweifel ein Leben lang. Kann man nicht auch diese Daten schützen?

Am Mittwoch hat sich sogar der Lehrerverband gegen eine Altersgrenze bei Tiktok und Co gestellt. Sie sei „realitätsfern und auch nicht sinnvoll“. Stattdessen müssten junge Menschen lernen, sich zurechtzufinden. Ein Schrei nach Medienkompetenzunterricht! In Bayern hätte ein Beschluss des Kabinetts helfen können: Das wollte alle Schü­le­r*in­nen ab der fünften Klasse mit Tablets ausstatten. Gemeinsam lernen an und mit Technik. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat es sich jetzt aber anders überlegt. Erst ab der 8. Klasse soll es Tablets für die Kinder geben. So sehr will er also, dass auch junge Menschen sich qualifiziert und eigenständig informieren können.

Doch Bildung allein reicht nicht: Digitale Gewalt, Hass, Lügen, schädliche Erzählungen über Attraktivität und persönlichen „Wert“ sind große Probleme. Genauso wie die – leider auch erfolgreichen – Rekrutierungsversuche von Ex­tre­mis­t*in­nen aller Art. Staat, und Plattformen müssen daher mit diversen Mitteln digital daran arbeiten, nach illegalen Inhalten zu suchen und ihre Ur­he­be­r*in­nen zu verfolgen. Doch die Probleme stammen nicht aus einer digitalen Welt. Sie haben sich dort nur festgesetzt wie in allen Bereichen des Lebens. Deswegen kann es keine rein digitale Lösung geben.

Wer Kinder und Jugendliche schützen will, muss sie stärken, nicht aussperren. Sie brauchen Medienbildung, politische Bildung, Sozialarbeit (analog wie digital), starke und einfühlsame Lehrkräfte, Jugendclubs, Sportvereine, sie brauchen Beistand und endlich genügend Psychotherapieplätze.

Gute Werte online vermitteln

Sie brauchen liebevolle Peer-Groups, um sich gegenseitig zu stärken. Sie brauchen Erwachsene, die ihnen nicht Informationen verbieten, sondern ihnen beistehen. Das geht auch online. Denn nicht nur Men­schen­fän­ge­r*in­nen können es in die Feeds von Minderjährigen schaffen. Sondern auch Menschen, die ihnen ganz andere Werte wie Mut, Verletzlichkeit oder Antifaschismus vorleben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Johannes Drosdowski
Redakteur Medien/Digitales
Redakteur für Medien und Digitales. Ansonsten freier Journalist und Teamer zum Thema Verschwörungserzählungen und Fake News. Steht auf Comics, Zombies und das Internet. Mastodon: @drosdowski@social.anoxinon.de
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Gebe ich recht 👍 hätte mein Vater mit meinem 13-jährigen Ich nicht gemütlich Bier getrunken, würden mir heute bestimmt keine 2 Feierabendbierchen als Genussmittel reichen.



    Dopamin-Sucht durch digitale Inhalte ist nur mit einem kontinuierlichen Zugang zu sozialen Medien vermeidbar. Daher schon im Kindergarten begrenzt (max. 2 Stunden) Internet pro Tag!