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talkshowZwiespältige eurovisionäre Illusion

Wieder einmal wird beim Eurovision Song Contest der Ausschluss Israels gefordert. Vergleiche mit Russland werden gezogen. Doch die Kritik greift zu kurz – Yuval Raphael ist keine Marionette ihrer Regierung

Musik als Nebensache: Yuval Raphael und pro-palästinensische Protestierende in Basel Foto: Harold Cunningham/getty

Von Jan Feddersen

Als Yuval Raphael von Israels öffentlich-rechtlicher TV-Station KAN als Act für den diesjährigen ESC in Basel ausgesucht wurde, stand ihr Trainingsprogramm längst fest. Ein zentraler Punkt: Das stark vermutete Buhkonzert während der Liveauftritte aushalten können. Und das mit gutem, beziehungsweise schlechtem Grund: Im Vorjahr war die israelische Kandidatin Eden Golan während ihrer ­Performance mit lärmenden Buhrufen gestört worden. Das sollte Yuval Raphael nicht passieren.

Beim ESC in Malmö im Mai 2024 war dem Mobbing damals eine Kampagne des antiisraelischen Bündnisses BDS vorangegangen, einschließlich lautester Proteste gegen die Israelin, ihr Land und dessen Präsenz beim ESC ­schlechthin. Nicht nur das, auch etliche ESC-KollegInnen – darunter Nemo, später siegreiche Künstlerperson aus der Schweiz – hatten sich dem Bashing angeschlossen, angestachelt durch Millionen Social-Media-NutzerInnen.Darauf musste sich Raphael also vorbereiten. Dass die 24-Jährige ausgewählt wurde, sei ihr eine Ehre, sagt sie. Ihre Rolle beim ESC verstehe sie als eine Botschafterin. Die Sängerin war am 7. Oktober 2023 beim Supernova-Festival dabei. Sie ist eine Überlebende, weil sie sich während der Hamas-Terrorattacke unter einem Berg von bereits Ermordeten wie leblos zu verhalten wusste. Am vorigen Sonntag beim Gala-Walk über den türkisenen Teppich in Basel überging sie irritationslos, dass einer aus dem Publikum ihr per Geste die Hölle wünschte, als er mit den Fingerspitzen über seinen Hals strich – lächelnd.

Ebenso wird Raphael wohl auch besonders zwiespältig auf die Illusion vom kollegialen Miteinander beim ESC schauen: Die meisten wünschen einander zwar Glück, so war es immer, so ist es auch dieses Jahr. Andere frühere SängerInnen, darunter abermals Nemo und auch Salvador Sobral, der portugiesische Gewinner von 2017, unterzeichneten jedoch eine Petition der „Artists for Palestine“, die Israels Ausschluss vom ESC fordert. Die Begründung: Israel führe Krieg gegen seine palästinensischen Nachbarn – und Russland und Belarus seien ja nach dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine suspendiert worden.

Die EBU, die europäische TV- und Radio-Union der öffentlich-rechtlichen Sender, wies diese Petition zurück – einleuchtenderweise. Denn obwohl es häufig so scheint, nehmen am ESC keine Länder teil, sondern unabhängige TV-Stationen. Das sei in Russland und Belarus spätestens seit dem Krieg gegen die Ukraine nicht der Fall. In Israel jedoch sei KAN vom Staat unabhängig – Raphael trete also nicht als Regierungschanteuse an.

Die EBU, mag eingewandt werden, halte sich naiv zurück, um sich politisch nicht einmischen zu müssen und lege dabei unterschiedliche Maßstäbe an – hier das gebannte Russland, dort das geduldete Israel. Doch obwohl sich ein Millionenpublikum den ESC als eine Art politische Europameisterschaft der Pop-Künste vorstellt, kann für die eurovisionäre Oberinstanz nur eine Abwägung gelten. Arbeitet ein TV-Sender vom Staat in, zumindest geringfügiger, Distanz?

Diese Herangehensweise hatte zur Folge, dass Russland etwa nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim nicht verbannt wurde, auch der britische Falkland-Krieg in den frühen Achtzigerjahren führte zu keinen Sanktionen. Fragen wirft allerdings die Teilnahme autokratisch geführter Länder wie Aserbaidschan auf: Auch diese werden nicht sanktioniert, obwohl dessen zur EBU gehörender TV-Sender keinen unabhängigen Journalismus produziert.

Ihre Rolle beim ESC versteht Yuval Raphael als eine der Botschafterin. Die Sängerin war am 7. Oktober 2023 beim Supernova-Festival

Die EBU hofft weiter, dass ihr 69. ESC im üblichen Festivalmodus verläuft – und hat dafür verfügt, dass auf der Bühne nur noch die eigene offizielle Landesflagge gezeigt werden darf. Im Publikum sind Länder- und andere Flaggen sexualidentitären Inhalts erlaubt. Auch palästinensische, obwohl der (momentan noch imaginierte) Staat weder einen Sender hat, der EBU-Mitglied ist, noch an einer künstlerischen Teilhabe bislang Interesse zeigte. Für die ESC-Tage raten Baseler Sicherheitskräfte Jüdinnen und Juden, sich unauffällig zu verhalten. Für den Samstag sind antiisraelische Demonstrationen geplant.

Yuval Raphael, die zu den Favoritinnen dieses Jahres zählt, tritt mit einer Botschaft an, die zeitgenössischer nicht sein könnte. „Ich habe diesen Horror nicht überlebt, um nicht mehr zu leben“, sagt sie. Am Donnerstag muss sie sich im Semifinale erst noch mit ihrer Ballade „A New Day Will Rise“ und ihrer klasse Stimme für das Grand Final am Samstag qualifizieren. Landet sie weit vorn, muss dies nichts mit prozionistischem Einvernehmen zu tun haben. Die Israelverwünschenden werden damit leben müssen, am Samstag an den 7. Oktober 2023 erinnert zu werden.

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