talk of the town: Komischer Kosmos
Wenn es um politische Proteste im Stadion geht, laviert die Fifa herum, auch jetzt bei einem Einsatz für Frauenrechte im Iran, wo Frauen nur schwerlich Stadien besuchen dürfen
Von Alina Schwermer
Die Fifa herrscht über einen lustigen Kosmos. Da wird heimlich mit katarischen Emiren und französischen Staatsmännern verhandelt und dabei wohl bestochen, was das Zeug hält, da dürfen sich Machthaber aller Couleur auf den Tribünen inszenieren, und gleichzeitig will die Fifa im Sport keine Politik haben. Sport begreift sie als unpolitisch, jedenfalls sind politische Botschaften von Menschen ohne gute Beziehungen nicht vorgesehen.
Vor einigen Tagen beim Spiel von Neuseeland gegen Kanada wurden also zwei iranische Fans am Betreten des Stadions gehindert. Sie trugen Shirts mit der Aufschrift: „Lasst iranische Frauen ins Stadion“, und auf der Rückseite „Gegen Hidschab-Zwang“ sowie „Mädchen der Revolutionsstraße“. Drei Tage später, am Dienstag, nahm der Weltfußballverband die Entscheidung wieder zurück. Die Begründung sagt einiges darüber, wie die Fifa tickt.
Die Organisation ist nämlich zu dem Schluss gekommen: Nicht nur Sport ist unpolitisch. Auch das Soziale ist unpolitisch. „Die Fifa glaubt, die Botschaft, Frauen ins Stadion zu lassen, ist sozial, nicht politisch“, schrieb der Verband. „Deshalb ist die Botschaft auf den T-Shirts nicht gegen die Fifa-Regeln.“ Der hochpolitische Ausschluss von Frauen aus dem Stadion ist also nur irgendeine soziale Angelegenheit. Die nun völlig eindeutige T-Shirt-Rückseite gegen Hidschab-Zwang umschiffte der Verband so: Die Fans hätten nicht rausgeworfen werden sollen, weil die Vorderseite der Shirts okay war, „auch wenn andere Botschaften auf dem Rücken der T-Shirts standen“. Offenbar kann man also jetzt mit jeder Botschaft auf dem Rücken ins Stadion gehen, solange auf der Vorderseite etwas vermeintlich Unpolitisches steht. Gut zu wissen.
Obwohl sich über das Gebaren der Fifa wunderbar spotten lässt, ist die Frage nach Politik im Stadion natürlich komplexer. In von Bürgerkriegen oder schweren Religionskonflikten erschütterten Ländern macht es möglicherweise Sinn, politische Äußerungen im Stadion zu unterbinden, wenn sie weitere Gewalt provozieren würden. In Staaten, wo viele Konflikte im Stadion weiterleben, muss man vielleicht sichere Orte schaffen. Statt die Existenz von Politik im Sport zu leugnen, müssten sich Verbände eigentlich einen politischen Kodex mit eigener Haltung zulegen. Verboten wären dann bestimmte Inhalte, nicht politische Äußerungen als solche. Immer auf die Gefahr hin, dass ein Verband eine zweifelhafte Auswahl trifft, auch, weil er zwischen den Interessen vieler Staaten agiert. Die Fifa ist bei ihrem Kodex bemerkenswert unpräzise. Konkret verboten sind vor allem Slogans auf der Ausrüstung der Sportlerinnen, nämlich „politische, religiöse oder persönliche Botschaften, Statements oder Bilder“. Politisch ist dabei nicht definiert. Und die Tatsache, dass etwa ein natürlich erlaubter Ausrüster wie Nike sehr bewusst mit politischen Bildern wirbt, zeigt die grundsätzliche Absurdität dieser Praxis.
In Bezug auf Fans geht die Fifa ähnlich vor. Laut dem „Stadium Code of Conduct“ von 2018 dürfen Anhänger keine Banner oder andere Materialien ins Stadion mitbringen, die „extremistisch, beleidigend oder diskriminierend“ sind. Explizit werden Nazi-Symbolik und „Symbole extremistischer Organisationen“ genannt, aber offen gelassen, welche Organisationen das sein sollen. Außerdem dürfen Fans keine Produkte mit „religiösem, politischem oder beleidigendem Inhalt“ ins Stadion mitbringen. Die Fifa will die echte Welt lieber aus dem Stadion raushalten, lässt sich aber genug Spielraum, um zur Not etwas als unpolitisch deklarieren zu können.
Dass die Fans des Stadions verwiesen wurden, war sogar nach Fifa-Maßstäben seltsam, denn während der Männer-WM in Russland, wo viele Iranerinnen anreisten, gab es ähnliche Banner (siehe Foto). Sie wurden offenbar toleriert. Auch dieser öffentliche Druck führte dazu, dass das Regime in Teheran während des Turniers mehrfach Public Viewing für Frauen im Azadi-Stadion gestattete, zum ersten Mal überhaupt.
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