talk of the town: Einmal Exotik, bitte
Zur Kimono-Debatte nach dem ESC-Auftritt: Kulturelle Aneignung ist eine rassistische Praxis. Warum ist es dennoch so schwer, kritische Haltungen zum Thema zu entwickeln?
Von Lin Hierse
Netta Barzilai trug während ihres Auftritts beim diesjährigen Eurovision Song Contest ein Gewand, das einem japanischen Kimono ähnelte. Nach der Show geriet sie in die Kritik: Sie habe sich der kulturellen Aneignung schuldig gemacht, indem sie vor dem Hintergrund goldener Winkekatzen mit stigmatisierendem Make-up und ihrer exotisierenden Kleiderwahl performt habe.
Natürlich bleibt dieser Aufschrei nicht unwidersprochen. Netta ist die ideale Sympathieträgerin unserer Zeit. Ihr Song „Toy“ und ihre unangepasste Haltung haben eine feministische Botschaft. Vor dem ESC wurde die israelische Sängerin zudem selbst Opfer einer homophoben und antisemitischen Boykottkampagne, was ihren Sieg politisch und gesellschaftlich noch wichtiger macht. Aber Showbusiness hin oder her, es ist berechtigt zu fragen: Warum musste Barzilais Auftritt in die Asia-Klischeebox getunkt werden? Und warum löst allein der Verweis auf kulturelle Aneignung Gegenwehr aus?
Eine Antwort auf die erste Frage lautet: Exotism sells. Im Falle der „asiatischen Exotisierung“ läuft dieser Slogan im gleichen Programm wie unser aller Faible für sexualisierende Inhalte. Das sexualisierende Bild der asiatischen Frau wurde im Westen über Jahrhunderte hinweg gehegt und gepflegt. Obwohl es im Fall von Barzilais ESC-Auftritt vermutlich nicht um die Reproduktion dieser Bilder ging, taugte das Japan-Setting doch zumindest als andersartige Kulisse.
Mit der Frage nach der Abwehrhaltung ist es komplizierter, wie so oft, wenn der moralische Zeigefinger ins Spiel kommt. Gerade weil Menschen einordnen, zuordnen und vorverurteilen, ist es schwer, eine Haltung zum Thema der kulturellen Aneignung zu entwickeln. Kulturellen Austausch und somit auch den Handel mit und die Weitergabe von kulturraumtypischen Objekten hat es schon immer gegeben. Das ist jedoch nie im luftleeren Raum geschehen, sondern im Kontext von Kolonialherrschaft, (Kultur-)Imperialismus und den impliziten ungleichen Machtverhältnissen – der „Austausch“ ist daher im Kern kein Austausch, sondern oft gewaltsame Ausbeutung. Die Mächtigen nehmen und entscheiden in der Regel einseitig, ob sie im Gegenzug etwas dafür geben wollen, und falls ja, was. Dieses Privileg ist nicht allen vorbehalten.
Im konkreten Fall von Netta Barzilai geht es nicht darum, dass sie als Weiße keinen Kimono tragen darf. Und natürlich tragen Asiat*innen auch Jeans, und auch nicht-weiße Menschen können rassistisch handeln. Dennoch ist das nicht das Gleiche, wie aus einer herrschenden Position heraus Minderheiten zu karikieren und sich über Objekte und Kleidung ungefragt Bestandteile ihrer kulturellen Identität anzueignen. Dieser Kontext ist entscheidend: Marginalisierte können sich in der Regel nicht aussuchen, welchen Teil ihrer Identität sie tragen wollen. Ein angeblich an der Hautfarbe erkennbarer Migrationshintergrund lässt sich nicht ablegen wie ein Kostüm.
Bezeichnend am Auftritt der ESC-Gewinnerin war letztlich nicht die Show an sich, sondern der Umgang mit den kritischen Reaktionen darauf. Warum erkennen wir es nicht an, wenn eingedampfte Asienreferenzen Betroffene wütend machen und verletzen? Wie enttarnen wir rassistische Strategien, die kritischen Stimmen unterstellen, sie würden persönliche Freiheiten durch Rede- und Verhaltensverbote beschneiden wollen? Die Frage lautet nicht, ob die Debatte über kulturelle Aneignung Sinn macht, sondern wie.
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