strübel & passig: Ganz entspannt im Testgebiet
Wenn man früher beim Einkaufen wegen Nichtbenutzung des Nächster-Kunde-Hölzchens angeschnauzt wurde, musste man Nachbarn, Freunden und Verwandten damit so lange in den Ohren liegen, bis entweder Empörung oder Publikum dahinschwanden. Inzwischen geht das umweltschonender und befriedigender. Man loggt sich bei ciao.de oder dooyoo.de ein, findet die passende Rubrik „Einzelhandel – EDEKA – Berlin – Sonnenallee – die etwas festere blonde Kassiererin“ und brandrodet die herzensrohe Person. Fantasien von ausbleibender Kundschaft, Schließung der Filiale, Arbeitslosigkeit der Schuldigen bis zur Frührente stellen sich ein. Entspannt hat man jetzt Zeit, auch die Meinung anderer Mitmenschen über die Schöpfung en gros und en detail zu studieren.
Neben Voraussagen, welches neu zu erwerbende Handy wohl als Erstes in tausend Stücke fallen wird, finden sich nützliche Tipps zu „9 Live Eroticclips zum totlachen“, aber auch „Huflattich – gut bei Atemwegserkrankungen“. Mr. Coffee lobt am Tuborg Pilsener höflich die „ganz nette Dose“, um dann aber schon zu Beginn seiner ausführlichen Rezension die Kettensäge anzulassen: „Also. ich muss ehrlich mal loswerden, wie sehr ich dieses Bier hasse.“ Auch prof_katharsis' unakademische Ansichten über „Also sprach Zarathustra“ geben zu denken: „Schöne Sprache und reizende Ideen vermögen nicht darüber hinwegzusetzen, wie sich N. geirrt hat. Was N. über Religion schreibt, ist erbärmlich. Wöllte Nitzsche sich über Gott erheben, oder war es seine Dummheit?“
Ungeachtet solcher Gemmen wären die Dienstleistungen der verschiedenen Rezensionsarchive auch durch telefonbuchdicke Stiftung-Warentest-Hefte nicht aufzuwiegen. Schließlich wird nur hier getestet, worauf es wirklich ankommt: Übersteht die Tastatur ein Bad in Eistee mit Zitronengeschmack? Wenn ja, welcher Marke? Kann man mit dem Gleitmittel auch die Fahrradkette ölen? Wie sympathisch sind die Stimmen der Support-Chicks?
Am Umfang des Testgebiets könnte man noch ein wenig feilen. ExfreundInnen, die durchnummerierten Gerichte aller Speisekarten der Umgebung, Drogen und Wohnungen fehlen nach wie vor, um die Kritik am Kosmos vollständig zu machen. Schließlich möchte ich meinen Nachmietern mitteilen können: „Sonnenlicht fällt nur in den Sommermonaten zwischen 11:30 und 12:30 auf etwa einen Quadratmeter der Wohnfläche. Den feuchten Fleck unten links an der Küchenwand sollten Sie im Auge behalten. Vermieterin: Heilige Inquisition.“
Insgesamt jedoch eine sinnvolle therapeutische Einrichtung: Das teure und umständliche Wählengehen ließe sich durch Nutzerbewertung von Politikern und Parteiprogrammen ersetzen, das unbequeme Kriegsführen durch freizügiges Verreißen ganzer Staaten in internationalen Foren. Nur bis man präimplantationsdiagnostisch das Urteil älterer Geschwister über die Eltern einsehen kann, haben Anbieter und Embryonenforscher noch ein bisschen zu tun.
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