streik im einzelhandel: "Die Kollegen sind ausgehungert"
Einen Supermarkt-Streik zu organisieren ist schwierig, sagt Erika Ritter von Ver.di. Bei Aldi und Lidl ist die Gewerkschaft fast gar nicht organisiert, anderswo gibt es genug Azubis und Leihkräfte, die als Streikbrecher eingesetzt werden.
taz: Frau Ritter, in Berlin-Brandenburg arbeiten 92.000 Beschäftigte im Einzelhandel. Rund 1.000 haben heute gestreikt. Warum nur so wenige?
Erika Ritter: Wir haben auch nur fünf Lebensmittelfilialbetriebe aufgerufen. Gerechnet haben wir mit 800 Teilnehmern. Es sind viel mehr geworden. Wir haben zum ersten Mal unsere Mitglieder per Brief aufgerufen und sie nicht vorm Laden eingesammelt. Und die Leute sind gekommen.
Aber trotzdem: Die Rewe-Gruppe hat in Berlin 110 Supermärkte, nur zehn waren wegen Streik geschlossen. Warum?
Die Arbeitgeber versuchen durch das Besetzen der Kasse, Verkaufsbereitschaft zu signalisieren. Die Zeiten sind vorbei, wo man eine hohe Zahl von Leuten brauchte, um einen Laden zu betreiben. Heute ist es doch so, dass man nur die Kasse besetzen muss und schon ists gut. Die haben Führungskräfte, Azubis, Leihkräfte - wen auch immer sie mobilisieren konnten - eingesetzt. Das böse Erwachen kommt erst, wenn die Regale leer bleiben, weil nicht nachbestellt wurde; wenn dann die Kasse nicht stimmt, weil sie falsch bedient wurde.
Können Sie überhaupt effektiv streiken? Wie hoch ist Ihr Organisationsgrad?
Der liegt bei 25 bis 30 Prozent. Umso positiver ist doch die Resonanz, die wir bekommen haben.
Warum waren nur die zehn Penny-Märkte der Rewe-Gruppe geschlossen?
Das kann man so nicht sagen, auch die Reichelts, Extras und die Kaisers waren gut dabei. Dass die Penny-Märkte geschlossen waren, hat mit deren Struktur zu tun. Wenn sie da die komplette Filialmannschaft mit sechs Leuten abziehen, ist da keiner mehr.
Warum nicht Aldi oder Lidl?
Wir konzentrieren uns auf das, wo wir gut organisiert sind. Bei Aldi haben wir in der Region drei Betriebsräte. Bei Lidl keinen.
Was für Arbeitsplätze gibt es im Einzelhandel?
Die Vollzeitarbeitsplätze gibt es weniger als 50 Prozent. Der Rest ist Teilzeit und die Hälfte davon sind 400-Euro-Jobs. Vollzeit verdient eine Verkäuferin 1.977 Euro brutto im Monat nach dem siebten Berufsjahr - aber die meisten kriegen keine Vollzeitstelle.
Was sind Ihre Forderungen?
6,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt. Wir wissen, dass sich Forderung und Abschluss noch nie gedeckt haben. Aber wenn mans nicht fordert, kriegt man gar nichts. Die Kolleginnen und Kollegen sind ausgehungert.
Die Arbeitgeber wollen auch die Zuschläge für die Spät- und Samstagsarbeit streichen?
Ja, und es kann nicht sein, das man den Beschäftigten seit November letzten Jahres die verlängerten Öffnungszeiten aufbürdet und ihnen zum Dank dafür die Zuschläge streichen will.
Sie fordern die Angleichung der Gehälter an Westniveau.
Im Osten der Stadt kriegen die Leute an Weihnachts- und Urlaubsgeld 300 Euro weniger, müssen aber jede Woche eine Stunde länger arbeiten. Warum es im Jahr 18 nach der Einheit diese Unterschiede geben muss, kann mir keiner mehr erklären.
Wie geht es jetzt weiter?
Wir verhandeln weiter, wenn die Arbeitgeber die Hände von den Zuschlägen lassen.
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