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stefan kuzmany über Alltag„Wir brauchen diesen Kies nicht mehr“

Vor kurzem wurde das Geld abgeschafft – natürlich nur kurz . . . Dann war der Euro da. Ein Reinfall

Es hätte mir schon am Morgen schwanen müssen, dass diese neue Währung nur Scherereien bringt. Ich erwachte mit einem unangenehmen Brummschädel, einmal wieder, und einmal wieder viel zu spät. Neu war nur diese seltsame Melodie, dieses beknackte Lied, das wir gestern Abend, so erinnerte ich mich dunkel, gesungen hatten, alle halbe Stunde aufs Neue hatte einer damit angefangen, später verkürzten sich die Abstände. Es war ein alter Song von Karl Dall, den wir da sangen in der Kneipe, und er ging so: „Das Geld, das wird abgeschafft / ich kenn schon einen, der hat keins mehr / das System ist alt und abgeschlafft / wir brauchen diesen Kies nicht mehr!“, immer wieder, für die Nachbartische muss es schrecklich gewesen sein, doch wir waren Stammgäste und feierten den Abschied der alten Währung. Und zwar nicht nur den, sondern vor allem dergestalt, dass wir unsere letzten Märker konsequent vertranken.

Das war am Neujahrsabend. Und jetzt hatte sich diese kindische Melodie, und – noch schlimmer – der bescheuerte Text in meinem Hirn festgefressen. Und wollte nicht mehr raus. „Ich kenn schon einen, der hat keins mehr!“, murmelte ich noch leicht benebelt vor mich hin, als mein Bruder mich unsanft ins Tagesgeschäft stieß: Ich hätte doch versprochen, heute endlich mal sein Auto in die Waschanlage zu fahren, wie ich es ihm doch mehrmals wortreich angekündigt hätte, als ich mir den Wagen letzte Woche von ihm ausborgte, um damit einige Topfpflanzen zu transportieren. Also gut. „Ich kenn schon einen, der hat keins mehr!“, summte ich vor mich hin auf dem Weg zum Parkplatz, und da fiel es mir ein: Ich kannte nicht nur einen, ich war selbst derjenige, der keinen Pfennig mehr in der Tasche hatte. Und noch keinen einzigen Cent.

Als vor einigen Jahren der Euro im internationalen Zahlungsverkehr eingeführt wurde, konnte man im Fernsehen Bilder sehen von einer spontanen Freudenkundgebung in Frankfurt am Main. Da waren Menschen auf der Straße zu bestaunen, die allesamt kleine blaue Eurofahnen in der Hand hielten und diese Fahnen schwenkten, als wäre der Euro ein Prinz, der gleich in einer Staatskarosse vorfahren würde, gnädig dem einfachen Volk zuwinkend. Ich habe mich damals sehr gewundert: Was um alles in der Welt bringt jemanden dazu, sich auf die Straße zu stellen, um Fähnchen schwenkend eine neue Währung zu begrüßen? Waren das etwa organisierte Jubeleuropäer? Wahrscheinlich, erklärte mir seinerzeit eine kluge Freundin, haben die alle Geld dafür bekommen, dass sie jetzt hier stehen und jubeln. Na ja, dann hatten sie auch einen Grund zum Feiern.

Als ich mich der örtlichen Sparkasse näherte, um mir am Geldautomaten einige Scheine zu ziehen, wurde mir schlagartig klar, dass sich meine kluge Freundin getäuscht hatte. Die Schlange vor den Bankschaltern und Automaten war so lang wie zurzeit vielleicht nur noch in Argentinien. Ohne Not verbrachte offenbar der halbe Ort den ersten Geschäftstag des neuen Jahres in einer Schalterhalle, um die neue Währung in Empfang zu nehmen. Kein Murren, kein Stöhnen, alle schienen froh zu sein und sich als Teil zu fühlen der großen Geldauswechslung. In den Schlangen wurde munter geplaudert, einige hatten sich augenscheinlich extra herausgeputzt für den Sparkassenbesuch, es schien sich für sie bei der schnöden Wechselaktion um ein gesellschaftliches Ereignis zu handeln. Diese Leute waren offenbar verrückt geworden. Irritiert suchte ich das Weite. Ich war nämlich doch nicht ganz mittellos, wie mir gerade einfiel. In meiner Jackentasche trug ich seit Weihnachten ein „Starter-Kit“ mit Euromünzen herum, ein Geschenk. Das sollte für die Autowäsche doch ausreichend sein.

Wer seinen Tag nicht in der Bank verbrachte, wusch sein Auto – diesen Eindruck jedenfalls vermittelte die lange Schlange vor der Waschanlage. Als ich endlich an der Reihe war, sollte also auch für mich der historische Moment kommen: meine erste Transaktion mit dem Euro. Würde ich etwas dabei spüren? Den Atem der Geschichte? Oder doch nur den des Finanzministers Hans Eichel? Oder gar den seines Vorgängers Theo Waigel? Ich schauderte und fasste mir ein Herz. „So, Sie sind jetzt der Erste, der Euro von mir bekommt“, erklärte ich feierlich dem Menschen am Schalter und griff nach dem Eurobeutel, um ihn aufzureißen. Doch der Waschwart hielt mich zurück: „Halt! Tun Sie das nicht. Die Starter-Kits sind später mal viel Geld wert!“ Ich stockte. Und bezahlte dann mit der EC-Karte. Zwar auch in Euro, aber es war irgendwie nicht dasselbe.

Der Eindruck, dass alle verrückt geworden waren und einer neuen Währung huldigten, verflog erst wieder am Abend in der Kneipe. Wo sonst? Wir sangen diesmal nicht, tranken wenig und starrten missmutig in unsere Geldbeutel. „Je länger ich diese Scheine anschaue, desto weniger mag ich sie“, sagte einer. Ein anderer hatte bereits eine unfehlbare Methode entwickelt, die Echtheit der Euroscheine festzustellen: „Wenn sie so aussehen wie Spielgeld und sich auch so anfühlen, dann sind sie echt.“

Schließlich kam ich doch noch zu meiner ersten Eurotransaktion, riss den Starter-Beutel auf und ließ mir von Eva, unserer hübschen Stammkellnerin, die Rechnung bringen. Um dem Moment etwas Gehalt abzuringen (und weil sie wirklich sehr hübsch ist), versuchte ich eine kleine Konversation: „Ist das für dich nicht verdammt schwierig, dich umzugewöhnen beim Kassieren?“ – „Nein“, antwortete sie kühl. „Das einzige Schlimme dabei ist, immer wieder diese blöde Frage beantworten zu müssen.“ Was für ein Reinfall, dieser Euro.

Fragen zu Alltag?kolumne@taz.de

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