piwik no script img

starke gefühleDas laute Telefonieren in Bussen und Bahnen ist eine Plage. Lasst Privates privat sein!

Alter, ich will dir nicht vor den Karren pissen, aber das ist echt Scheiße … Versteh ich, aber du bist so was von verwichst … du bist ein echter Scheißwichser.“

Hört man so etwas in der Straßenbahn, wird es lustig – oder sehr anstrengend. Nicht nur für den „Scheißwichser“, der von dem Typen mit Headset, der gerade einsteigt, beschimpft wird, sondern auch für alle anderen Fahrgäste. Denn der Headset-Mann hat offenbar keine Ahnung, wie laut er telefoniert, er hört sich selbst ja leiser als sein Umfeld. Und so erfährt der gesamte Waggon, dass „die Situation total verfahren ist“ mit dem „Scheißwichser“, und als der Spuk sechs Stationen später wieder vorbei ist, wissen auch alle, dass „die Knete ratzfatz wieder her“ muss.

Fragt man Reisende, was beim Bahnfahren oder in der U-Bahn am stärksten nervt, antworten die meisten: Menschen. Zu voll sind die ICEs, Busse, Trams und S-Bahnen. Und am allerallerschlimmsten sollen die Lauttelefonierer sein, egal, ob die Kopfhörer tragen oder ihr Handy direkt vor ihren Mund halten und trotzdem reinbrüllen, als habe die andere Seite das Hörgerät ausgeschaltet. Sind Kinder im Spiel, wird gern die Handykamera dazugeschaltet – und das Abteil darf sich mit daran erfreuen, wie das Baby zu Hause bei der Oma seinen Brei wegschmatzt. Später fragt der Papa liebevoll: „Und? Hat er heute schon in die Windel gemacht?“ – „Gleich dreimal, einmal war es ganz grün, ich denke, das ist vom Spinat.“

War lautes Telefonieren im öffentlichen Raum vor gut 30 Jahren noch eine Angeberpose – ätsch, ich kann mir solch ein geiles Mobilteil und erst recht die superteuren Verbindungskosten dafür leisten –, ist es in den vergangenen Jahren eine Selbstverständlichkeit geworden. Flatrates und Handys in allen Preisvarianten machen es möglich, von überall nach überall zu telefonieren. Das hat große Vorteile: Schlüssel vergessen, kein Problem, ich ruf meine Nachbarn an, die haben einen Zweitschlüssel. Oder: Was sollte ich noch mal aus dem Supermarkt mitbringen? „Ich steh gerade vor dem Käseregal, was wolltest du haben?“

Das Vermengen des privaten mit dem öffentlichen Ich wurde durch die Coronalockdowns verschärft. Dank Videokonferenzen konnte man plötzlich in die Wohn- und Arbeitszimmer der Kol­le­g:in­nen schauen. Man sah vertrockenete Gummibäume, Filmplakate und ungemachte WG-Hochbetten, manchmal lief ein halbbekleideter Mann durch den Hintergrund oder ein Kind schob seinen Kopf vor die Kamera, ach wie süß, und die Kol­le­g:in­nen an ihren Bildschirmen winkten dem Kind zu. Corona hat die Hemmschwelle, Privates als Privates zu verhandeln, gefühlt in die Keller geräumt. Vor allem beim Bahnfahren. „Schatzimatzi, ich freu mich so auf dich. Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Vier Tage, puh, ja, ganz schön lange. Wir gehen dann gleich ins Bett, ja? Bereitest du schon mal alles vor?“

Ist man spießig, humorlos oder zu wenig resilient, wenn man sich wünscht, dass laute Handynutzung in Öffis verboten werden sollte?

Ist man spießig, humorlos oder zu wenig resilient, wenn man sich wünscht, dass lautes Telefonieren in Bussen und Bahnen verboten werden sollte? Dass Chefs keine Anweisungen aus einem ICE geben dürfen und „Schatzimatzi“ von selbst auf die Idee kommen sollte, das Liebesnest herzurichten? Selbst in den Ruheabteilen in der Bahn hat man selten seine Ruhe. Da stören einen dann auch die Menschen nicht mehr, die immer noch nicht wissen, wie sie ihre Tastentöne ausstellen können, und bei denen jede Textnachricht mit einem unentwegten Piepiepiepiep durchs Abteil fliegt.

Nur in ganz, ganz seltenen Fällen nerven laute Handygespräche nicht, sondern sind sogar nützlich. Ich jedenfalls weiß neuerdings, wie man ein französisches Orangenhühnchen zubereitet. Simone Schmollack

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen