schlagloch: Die Rückkehr der Despoten
Das Stalin-Museum im georgischen Gori: Wie einem Staatsverbrecher mit dem Sakrament der Geschichtsvergessenheit gehuldigt wird
Ilija Trojanow ist Schriftsteller, Weltensammler und Autor zahlreicher Bücher, darunter: „Macht und Widerstand“ (S. Fischer Verlag). Im Jahr 2017 erschien, ebenfalls bei S. Fischer, „Nach der Flucht“.
Die Schlagloch-Vorschau:
7. 8.: Jagoda
Marinić
14. 8.: Charlotte
Wiedemann
21. 8.: Hilal
Sezgin
28. 8.: Nora
Bossong
4. 9.: Mathias
Greffrath
Kaum etwas verdeutlicht so sehr die Renaissance reaktionärer und autoritärer Haltungen, die gegenwärtig weltweit einen erschreckenden Aufschwung erleben, wie die Verherrlichung von einstigen Diktatoren, Schlächtern und Fanatikern. Hierzulande wird neuerdings gefordert, wir sollten wieder stolz auf die deutsche Geschichte sein dürfen, ein Euphemismus für die Verharmlosung jener Epochen der Historie, denen nur mit Scham zu begegnen ist (denn niemand hat je Goethe, Dürer, Beethoven oder Bosch den gebührenden Stolz verweigert).
Der indische Premierminister Narendra Modi zitiert häufig und ausführlich Vinayak Damodar Savarkar, einen rechtsextremen Rassisten, der Adolf Hitler bewunderte und in allem der Antipode von Mahatma Gandhi war, der von einem glühenden Anhänger des hinduistischen Nationalismus („Hindutva“ genannt) ermordet wurde. In den USA tobt ein erbitterter Kulturkampf um das Vermächtnis der Südstaaten, der unter anderem eine Relativierung der Sklaverei beinhaltet und ein Beharren auf eigene Identität seitens universeller, menschenrechtlicher Prinzipien.
In China sind Mao Tse-tung und Tschu En Lai als schillernde Köpfe eines doppelten Hologramms an jeder Souvenirbude erhältlich. In Italien erfährt Benito Mussolini schon seit Längerem eine Rehabilitierung – unvergessen der Ausspruch Silvio Berlusconis, der Duce sei ein gutmütiger Diktator gewesen, der habe „niemanden getötet. Er hat die Leute auf Ferien in die Verbannung geschickt.“
Am extremsten ist diese Ausgabe von historischen Persilscheinen in Russland, wo in den vergangenen Jahren Dutzende neue Stalin-Denkmäler errichtet worden sind, durchaus mit wohlwollender Begleitung einer Regierung, die offenbar in der Seligsprechung des stählernen Führers von einst eine Strategie zur Legitimierung des heutigen Staatschefs wahrnimmt: Starke Männer braucht das Mutterland.
Dieser Trend wird durch eine Flut an revanchistischer Literatur verstärkt, die nach altbekanntem Muster die Verbrechen kleinredet und die Leistungen übertreibt.
Kaum ein anderer Ort dürfte die Mechanismen solcher Geschichtsfälschung und Instrumentalisierung klarer illustrieren als das Stalin-Museum in der georgischen Kleinstadt Gori. Schon von außen werden Schönheit und Harmlosigkeit suggeriert: Rosenbeete, Springbrunnen, Kinderspielplätze zu beiden Seiten eines Flanierwegs, der an Stalins Geburtshaus endet, eine herausgeputzte Kate, von einem imposanten Baldachin überdacht. „Niedlich“ ist der dominante Eindruck.
In dem 1957 errichteten Museumsbau, getragen von vierundzwanzig imposanten Säulen, wird Geschichte als Familienalbum präsentiert. Fotos aus allen Lebensabschnitten Stalins, der als Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili geboren wurde, reihen sich kaum kommentiert aneinander, es fehlt jegliche Einführung, von politischem Kontext ganz zu schweigen.
Der Besucher sitzt quasi auf dem Sofa des Städtchens Gori und betrachtet Bildlein seines berühmtesten Sohns. Der Rundgang endet in einer mausoleumsartigen Säulenhalle, in ihrer Mitte ein Bronzeabguss der Todesmaske. Bemerkenswert, wie schnell sich beim Besucher die Ungeheuerlichkeit dieser Inszenierung abnutzt und einer neuen Normalität weicht. Nach einer Stunde hat man sich mit dieser Ikonisierung eines der schlimmsten Staatsverbrechers der Menschheitsgeschichte fast abgefunden.
Sichtbar und spürbar in diesem Museum wird, wie ein Personenkult neue politische Prioritäten suggeriert: Unterwerfung unter einer alles überragenden Autorität, Vermischung religiöser und weltlicher Symbolik zur Heiligsprechung und Humanisierung eines Monsters bei gleichzeitigem Totschweigen seiner Unmenschlichkeit. Kein Wunder also, dass das Stalin-Museum einer Kultstätte ähnelt, in der einzig und allein der Despotie mit dem Sakrament der Geschichtsvergessenheit gehuldigt wird.
Besonders schlimm ist es, wenn solch ein Kult von dritter Seite toleriert wird. Vor einigen Jahren musste ich erfahren, wie eine schon fest geplante und organisierte Lesereise durch einige sibirische Universitätsstädte vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) abgesagt wurde – aus Rücksicht vor russischen Befindlichkeiten, weil in meinem Roman „Macht und Widerstand“ die Hauptfigur vor mehr als sechs Jahrzehnten ein Stalin-Denkmal in die Luft sprengt. Und erst letzte Woche wurde bekannt, dass der populäre Sachbuchautor Vuval Noah Harari die russische Ausgabe seines Bestsellers „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ selbst zensiert hat. Anstelle der Kritik am Putin-Regime nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim werden die russischen Leser*innen mit einer Kritik am Verhalten der Trump-Regierung beglückt. Entlarvend die Rechtfertigung des Autors: „Um meine Ideen und Botschaften Menschen aus verschiedenen Ländern vermitteln zu können, habe ich im Laufe der Jahre Anpassungen meiner Bücher genehmigt und sogar selbst vorgenommen … Diese Anpassungen berücksichtigen unterschiedliche kulturelle, religiöse und politische Hintergründe.“ Dies ist die Kapitulation des kritischen Denkens vor den Zwängen der Macht, die sich zunehmend autoritär, repressiv und allwissend gibt.
Lange bevor die Denkmäler im Osten Europas geschleift wurden, haben kritische Geister die Demontage von Führern, Heroen, Heiligen und Halbgöttern vorbereitet. Es ist eine der Ironien der deutschen Sprache, dass dem Wort Denkmal noch eine zweite, konträre Bedeutung eingeschrieben ist: Benutze dein Hirn, stelle infrage, sei skeptisch – denk mal nach!
Offensichtlich leben wir wieder in Zeiten, in denen auf den kolossalen Protz der Machtverherrlichung mit neuer kritischer Radikalität reagiert werden muss. Nicht mit Duldung oder Anpassung.
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