press-schlag: Im Verein ist Sport am schönsten
Nach der Wüsten-WM in Katar gerät der Auftakt in der Bundesliga fast schon zu einem Akt der Befreiung.
D ie WM-Qual hat ein Ende. Endlich gibt es wieder guten Fußball zu sehen. In Katar waren vielleicht acht Spiele von insgesamt 64 okay und einigermaßen vergnüglich. Durch den Rest fräste sich man maschinell hindurch. Glücklich, wer nicht die Rolle eines Archivars spielen und die Dosis reduzieren konnte. Eine Weltmeisterschaft zitiert ja allzu oft das Vergangene: nationale Battles, Corpsgeist im WM-Lager und auf den Fanmeilen. Es läuft auf eine mediale Überhöhung des Event-Fußballs hinaus, aber die Versprechung von Qualität kann eine WM viel zu selten einlösen.
Dieses Problem haben die großen europäischen Ligen nicht. Und es ist verständlich, wenn allerhand Kommentatoren und Moderatoren in den zurückliegenden Tagen einen Stoßseufzer der Erleichterung in den Äther schickten: Endlich geht’s wieder los, der Ball rollt, die Stadien sind voll mit echten Fans, die sogar richtig Krach machen und Böller zünden.
Der Fußball, der in der Wüste ein im Grunde absurdes Exil genommen hatte, findet wieder zu sich, auch die Politisierung des Ballsports gerät in den Hintergrund. Es mag die kapitalismuskritische Fraktion enervieren, aber der Vereinsfußball ist Garant für Spektakel und Unterhaltung. Lieber Köln gegen Werder als Uruguay gegen Südkorea, lieber Leicester gegen Brighton als Australien gegen Dänemark.
Schon komisch, dass einen diese Weltmeisterschaft so nach Authentizität lechzen lässt, obwohl auch in Europas Ligen in der Winterpause nach Schema F verfahren wurde und man sich in vielerlei Hinsicht keine Illusionen machen darf: irre teure Transfers vom Festland in die Premier League, Magnetismus des Geldes, Zentralisierung von Talenten. Aber das ist eben die Kröte, die es zu schlucken gilt, wenn man Fußball als das begreift, was er ist und schon immer war: Unterhaltung, Ablenkung, Zirkus.
Man betritt also die Manege. Und wofür zahlt man da lieber? Für die weltumspannenden Phantastereien eines Fußballweltverbandes oder für den regionalen Klub, dessen Problemchen mit dokumentarischem Eifer in der Lokalpresse ausgerollt werden? Im deutschen, italienischen oder spanischen Ligafußball, so anrüchig er mittlerweile auch sein mag, triumphieren die Somewheres über die Anywheres. Verwurzelung zählt – und in der Wüste wächst kein Baum. Man kann Attrappen in die Landschaft stellen, Potemkin’sche resp. Al-Thani’sche Dörfer errichten.
Allein: Es wird nichts nutzen. Der Fan sucht Nähe. Um die Ecke. Da, wo er sich als Siebenjähriger das Knie aufgeschlagen hat. Wo er zum ersten Mal besoffen war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku