press-schlag: Die Fans des Wohldochnicht-Absteigers VfB Stuttgart müssen sich an neue Verhältnisse gewöhnen
Haas taugt nicht zum Sprechgesang
Das klingt ja schon ein wenig wie Hohn, wenn sich Gerhard Mayer-Vorfelder zum Apostel des Fanworts aufschwingt. Es ist noch nicht allzu lange her, da war er Präsident des VfB Stuttgart und hat die berechtigt immer lauter werdenden „Vorfelder raus“-Rufe arrogant ignoriert nach dem Motto: Lass doch das dumme Fußvolk brüllen! Jetzt, da er zum DFB-Präsidenten „gewählt“ wurde, liegt der Fall natürlich anders. Da gibt er den überparteilichen Fanvater und sagt: „Man muss die Anliegen der Fans schon sehr ernst nehmen.“ Wow.
Gut, gemeint war natürlich der „15:30“-Protest in den Stadien. Doch irgendwie hat das am Wochenende auch ganz gut auf den VfB Stuttgart gepasst. Die Fans im Schwabenland müssen sich ja neuerdings ganz neue Protestformen ausdenken. Vorfelder ist tatsächlich raus, rein ist ein gewisser Manfred Haas. Doch Haas taugt nicht zum Sprechgesang. Er ist nahezu unsichtbar, sodass sich der Fan gar kein (Feind-)Bild machen kann. Und überhaupt: „Ha-as raus“, da holpert der Stadion-Rap doch ganz gewaltig. In der Fankurve haben die Schwaben deshalb plakatiert: „2.700 Minuten keine Leistung von euch – 15 Minuten keine Leistung von uns!!!“ Sie schwiegen denn auch ganz beharrlich – allerdings nur fünf Minuten lang, weil Adhemar traf. Und nach 90 Minuten hatten sie sich schon wieder ganz lieb. Drei Punkte gegen Bremen. Wahrscheinlich nicht abgestiegen. 2.700 Minuten keine, 90 Minuten nicht viel Leistung? Macht nichts, wenn die Konkurrenz noch weniger bietet.
Man hätte dem VfB tatsächlich einmal die Zweite Liga gegönnt – als saisonale Kur sozusagen. Als Chance, den Geist zu reinigen. Das Problem: Sie würden den Patienten vermutlich für längere Zeit einbehalten. 30 Millionen Mark Schulden hat der Club, Mayer-Vorfelders Erblast, über 15 Millionen Mark weniger TV-Gelder würden fließen. Spieler müssten verhökert werden zur Deckung des Etats. Neuaufbau? Schönes Wort. Der Abstieg würde dem Ruin gleichkommen.
Die Schwaben werden aber auch in Liga eins nicht drumrum kommen, konzeptionell zu arbeiten. Nur fragt sich, wer dieses Konzept erfinden soll? Felix Magath etwa? Naja. Magath ist ja eher für die Quickies in der Bundesliga prädestiniert und nicht für dauerhafte Beziehungen. Magath ist diplomiert im kurzen Motivationsschub für Abstiegskandidaten. Die Krux ist, dass sich der Erfolg immer auf den Moment des Nichtabstiegs reduziert. Konzept darüber hinaus? Neuaufbau sogar? Stuttgarts Fans können sich schon einmal darauf einstellen, auch in der nächsten Saison wieder die Minuten ohne Leistung zählen zu müssen.
THILO KNOTT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen