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portraitDas begnadigte Gewaltopfer

Jaqueline Sauvage tötete ihren gewalttätigen Ehemann Foto: dpa

Sie hat ihren Mann mit drei Schüssen in den Rücken getötet. Sie ist deswegen zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden. Damit könnte die Geschichte der heute 68-jährigen Jacqueline Sauvage im Aktenschrank der Justizbehörden enden. Doch wegen der beispielhaften Vorgeschichte gibt es jetzt ein Nachspiel. Der französische Staatspräsident François Hollande hat Sauvage am Montag nach einer landesweiten Kampagne mit einem teilweisen Straferlass begnadigt.

Das schafft einen Präzedenzfall für alle, die wie Jacqueline Sauvage jahrelang Opfer von Gewalt in der Ehe sind. In Frankreich stirbt im Durchschnitt fast jeden zweiten Tag eine Frau an Misshandlungen. Der Täter ist fast immer der eigene Mann oder Partner.

Jacqueline Sauvage war – bis zu ihrer Selbstjustiz – ein trauriger Fall unter vielen. Vor Gericht saß 2014 in Blois eine unscheinbare, verhärmte, grauhaarige und wortkarge Frau auf der Anklagebank. Wie sollte sie dem Gericht erklären, dass sie fast 50 Jahre von ihrem Mann Norbert regelmäßig brutal verprügelt wurde? Wie konnte sie es ertragen, dass ihre Töchter von ihm sexuell missbraucht wurden, bis ihr Sohn sich wegen des gewalttätigen und inzestuösen Vaters erhängt hatte?

Dieser Selbstmord am 9. September 2012 war der Auslöser. Als ihr Gatte sie am Tag darauf erneut schlug, holte Sauvage sein Gewehr aus dem Schrank. Für die Justiz war das keine Notwehr. Aus Angst hatte sie es nie gewagt, Klage einzureichen. Aber alle im Dorf La Selle-sur-le-Bied wussten angeblich, wie sehr sie und ihre Töchter unter den Misshandlungen litten.

Hollande möchte nicht Gnade vor Recht, sondern Gnade mit Recht walten lassen. Er kann keine Selbstjustiz billigen, das Urteil wird von ihm darum nicht infrage gestellt, aber er verkürzt die Strafe so weit, dass Sauvage jetzt ihre Freilassung auf Bewährung beantragen kann.

Ihr Fall macht Rechtsgeschichte, und sie wird ungewollt für die Frauen Frankreichs zu einem Symbol und Beispiel der Verteidigung gegen prügelnde Männer. Fast 400.000 Menschen hatten eine Petition unterzeichnet, in der ihre Begnadigung verlangt wurde.

RUDOLF balmer

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