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portraitTief enttäuschte Großmutter

María de Mariani: Ihre Enkelin bleibt verschwunden Foto: dpa

Argentinien hatte die ­perfekte Weihnachtsgeschichte: Am 24. Dezember klingelte es an der Tür der Großmutter. Die betagte Dame öffnete. Draußen stand eine 39-jährige Frau. Sie sei ihre Enkelin, sagte sie, die im Alter von drei Monaten während der Militärdiktatur geraubt und seither verschwunden war. Das ganze Land war gerührt, der Präsident gratulierte überschwänglich.

Die Freude hielt keine 24 Stunden: Alles Lüge, selbst die Erzählung war falsch. Seit 39 Jahren sucht María Isabel Cho­ro­bik de Mariani nun ihre Enkelin Clara. Ende 2014 meldete sich eine Frau, sie sei Clara. Schon nach einem ersten Treffen kamen der Großmutter Zweifel. Die vermeintliche Enkelin hatte ein Gutachten eines privaten Labors, das ihre Herkunft zu bestätigen schien. Doch ein Abgleich der genetischen Daten der eigens für solche Fälle eingerichteten staatliche Genbank stellte fest: Die Enkelin ist gar nicht die Gesuchte.

Dass die 92 Jahre alte Großmutter María Isabel Chorobik de Mariani einmal eine bekannte Menschenrechtsaktivistin sein würde, war nicht ihr Lebensplan. Am 11. Januar 1948 kam ihr Sohn Daniel zur Welt. Ein Jahr später zog die Familie nach La Plata, in die Provinzhauptstadt von Buenos Aires. Der Vater, Vio­linist und Orchesterdirigent, hatte ein Engagement am Teatro Argentino erhalten. Am 12. August 1976 kam die Enkelin Clara zur Welt.

Als sich María Isabel Chorobik de Mariani auf die Suche nach ihrer Enkelin machte, wusste sie bereits, dass Vater und Mutter der kleinen Clara tot waren. Im November 1976, acht Monate nach dem Militärputsch, war ihre Schwiegertochter Diana Teruggi von den Militärs getötet worden, seither ist Clara verschwunden. Im August 1977 wurde ihr Sohn Daniel ­Mariani getötet. Diana und Daniel gehörten den Montoneros an, einer linksgerichteten militanten Organisation, die von den Militärs zum Feind erklärt worden war.

1977 begannen die Mütter auf der Plaza de Mayo öffentlich nach ihren verschwundenen Kindern zu suchen. María Isabel Chorobik de Mariani schloss sich ihnen an und traf auf Frauen, deren Kinder ebenfalls tot, aber deren Enkel verschwunden waren. Zwölf Frauen schlossen sich im November 1977 als Großmütter der Plaza de Mayo zusammen. Die Organisation schätzt die Zahl der noch verschwundenen, ihren zumeist ermordeten Eltern entrissenen Kinder auf 400. Bisher sind 119 von ihnen wieder aufgefunden worden.

Zwar sei sie wegen des jetzigen Vorfalls traurig und gekränkt, aber sie wolle mit der gleichen Kraft wie bisher weitersuchen, heißt es aus María Isabel Chorobik de Marianis Umfeld. Jürgen Vogt

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