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■ Digitale Retrospektiven: zwei CD-Roms von Valie Export und Anna Oppermann

Totgesagte leben länger: CD- Roms sind als künstlerisches Medium in den letzten Jahren immer mehr ins Abseits geraten – das Internet war interessanter. Doch gerade als man meinte, die CD-Rom ad acta legen zu können, sind zwei neue Produktionen erschienen, die das Medium wieder spannend machen. Beide beschäftigen sich mit dem ×uvre von Künstlerinnen, die aus derselben Generation stammen: Valie Export und Anna Oppermann. Weil beide mit verschiedenen Materialien und Medien arbeiteten, eignet sich das digitale Universalmedium CD-Rom besonders gut zur Dokumentation ihrer Werke.

Export, die heute als Professorin an der Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM) unterrichtet, hat die CD-Rom selbst konzipiert und an ihrer Realisierung mitgearbeitet. Dabei hat sie Macromind, eine typische CD-Rom-Software, benutzt. Anna Oppermann (1940 bis 1993), zuletzt Professorin an der Berliner Hochschule der Künste, ist vor fünf Jahren an Krebs gestorben. Ihre CD-Rom „Umarmungen...“ wurde posthum von der Lüneburger Kulturwissenschaftlerin Carmen Wedemeyer produziert. Sie ist in HTML, dem Code des WWW programmiert, als eine auf CD-Rom übertragene Homepage. Damit umgeht sie Einschränkungen, die die meisten CD-Roms bislang plagten: Oft waren sie nur mit Apple- Computer oder nur mit Windows-PCs zu benutzen; „Umarmungen...“ läuft dagegen auf jedem Rechner mit Internet- Browser.

Valie Export gibt mit „Bilder der Berührung“ einen eher beschränkten Blick auf ihr ×uvre frei. So fehlen die skandalösen Aktionen, die sie Ende der 60er Jahre bekannt machten. Das „Tastkino“, bei dem Passanten auf der Straße ihre von einem Fernseher verborgenen Brüste befühlen konnten, Blow-Jobs als Performance oder die schönen Expanded-Cinema-Filme wie „Ping Pong“ sind auf der CD-Rom nicht zu finden.

Auch wenn Valie Export auf dem Cover schreibt: „Die CD- Rom ist nicht als Dokumentation meiner Arbeiten, sondern als eigenständiges Werk zu sehen“ – viel mehr als eine Dokumentation ist „Bilder der Berührungen“ dennoch nicht geworden. Mehr muß die CD- Rom freilich auch gar nicht sein, dafür ist ihr Werk aus Filmen und Videos vielseitig genug. Wenn Export das Material auf der CD-Rom, wie angekündigt, „auch in das Datennetz eingespeist hat..., um somit eine Ausweitung zu erfahren“, dürfte sie sich allerdings wundern: Die schlichte designerische Eleganz ihrer CD-Rom wird sie im World Wide Web nicht wiederherstellen können.

Auf diese technischen Beschränkungen, die das Internet seinen Usern aufzwingt, hat sich Carmen Wedemeyer mit ihrer HTML-Programmierung eingelassen. Das führt leider oft dazu, daß große Fotos der Ensembles, mit denen Anna Oppermann berühmt wurde, in winzigen Rähmchen verschwinden und erläuternde Texte in anderen Kästchen an der Grenze der Lesbarkeit versauern.

Trotzdem ist die CD-Rom das ideale Medium, um Oppermanns schwer zu überschauendes ×uvre zu dokumentieren. Die Installationen, in denen sie ihren sehr privaten Mikrokosmos öffentlich machte, waren eine Mischung aus Hausaltar und Rumpelkammer. Ausgehend von einer Bezugspflanze (!), ordnete sie Zeichnungen, Fundstücke, Fotografien, Pappschilder zu raumfüllenden Environments, die bei jeder Ausstellung neu arrangiert wurden. „Jeder kann seine eigene Spur finden und weiterspinnen und muß nicht meinen Wegen folgen“, sagt Oppermann über ihre Arbeit. So könnte man auch die Funktionsweise einer interaktiven CD-Rom beschreiben.

Nach Oppermanns Tod waren ihre Nachlaßverwalter mit Bergen von Rohmaterial konfrontiert. Sie mußten entscheiden, ob abgebrannte Streichhölzer, Notizzettel oder Kuchenkrümel, die sie in einigen Kartons vorfanden, zu Kunstwerken gehörten oder nur zufällig in die Kiste geraten waren. Weil sie „den Fluß des Lebens“ nicht anhalten wollte und nur „fertig Unfertiges“ produzieren wollte, hatte Oppermann keines ihrer Ensembles auf Skizzen oder Karten festgehalten.

Die vorliegende digitale Retrospektive gleicht daher Zettelkastens Traum: Wedemeyer hat eine vollständige „quellenkritische Ausgabe“ der etwa 600 Gegenstände eines einzigen Ensembles „Umarmungen, Unerklärliches und eine Gedichtzeile von R.M.R.“ versucht. Zu jedem einzelnen Element der Arbeit gibt es eine Transkription, Erläuterungen und einen Index. Alle Bilder sind im Faksimile digital gespeichert. Außerdem liefert die CD-Rom eine vollständige Ausgabe der Texte Oppermanns und ein Werkverzeichnis mit Informationen und Abbildungen zu ihren 70 Ensembles.

Doch damit nicht genug: Sogar Fernsehberichte über die Künstlerin haben die Herausgeber aus den unergründlichen Archiven der öffentlich-rechtlichen Anstalten herbeigeschleppt. Leider ist das Navigationssystem, mit dem sich der User durch diese Datenmengen hindurchwursteln muß, gewöhnungsbedürftig, und bei den Literaturangaben gehen viele Links ins Nichts. Trotzdem ist „Berührungen...“ die bisher wohl werkgerechteste Dokumentation der Arbeiten Anna Oppermanns.

Bleibt bloß die Frage, warum der ganze Zauber noch auf einer CD-Rom mit Buch erschienen ist, wenn er schon komplett in internetkompatibler Form programmiert worden ist. Aber wie sagte Oppermann in einem Fernsehbericht über ihre Arbeit? „Es muß einiges offen bleiben.“ Tilman Baumgärtel

Carmen Wedemeyer: „Anna Oppermanns Ensemble ,Umarmungen, Unerklärliches und eine Gedichtzeile von R.M.R.‘“, für Rechner mit CD- Laufwerk und WWW-Browser, Stroemfeld/Roter Stern, Edition Lebeer Hossmann, Frankfurt am Main 1998, 38 Mark

Valie Export: „Bilder der Berührung“, CD-Rom für PC oder Macintosh PowerPC. Vertrieb der Buchhandlung Walter König, Köln 1998, 65 Mark

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