pinochet-prozess: Neue Standards – auch ohne Urteil
Augusto Pinochet hat es geschafft: Chiles 85-jähriger Exdiktator wird sterben dürfen, ohne sich vor Gericht für die Folterungen und Morde verantworten zu müssen, die unter seinem Terrorregime begangen wurden. Um die Einstellung des Verfahrens zu erreichen, mussten Pinochets Anwälte behaupten, ihr Mandant leide unter fortgeschrittener Demenz. Denn alle anderen juristischen Kniffe, um den selbstherrlichen Exdiktator vor Verfolgung zu schützen, waren längst gescheitert.
Kommentar von BERND PICKERT
Dass sich Pinochet am Ende auf seine Krankheit hinausreden musste – das ist ein Erfolg. Auch wenn es für die Opfer und ihre Angehörigen bitter ist, dass der General nie hinter Gittern landen wird. Doch der Fall Pinochet hat weltweit Standards gesetzt, das internationale Strafrecht weiterentwickelt. Das gilt schon für die Ausstellung des spanischen Haftbefehls, dann für die Verhaftung des Exdiktators in London 1998, seine Rücküberstellung nach Chile und schließlich für die zahllosen Anklagen dort.
Neue Standards setzten etwa die britischen Lord-Richter, als sie zu dem Schluss kamen, dass ein ehemaliger Staatschef keine Immunität bei Menschenrechtsverletzungen genieße – denn Folter und Mord würden nicht zu den Aufgaben eines Regierungschefs gehören. Dieses wegweisende Urteil hat sich inzwischen im Völkerstrafrecht allgemein durchgesetzt. Ähnlich bedeutsam war, dass die spanische Audiencia Nacional entschied, die massenhafte Drangsalierung von tatsächlichen oder mutmaßlichen Regimegegnern als Völkermord zu bewerten: Schließlich handele es sich bei den Opfern um eine verfolgte nationale Gruppe. Damit wurden neue Möglichkeiten eröffnet, auch schon vor der Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag mordende Diktatoren international zur Verantwortung zu ziehen.
In nicht einmal drei Jahren sind hier richtungweisende Urteile gesprochen worden. Dies ist auch den Menschenrechts- und Angehörigenorganisationen zu verdanken, die – obwohl in ihrem eigenen Land lange als nicht mehr zeitgemäß belächelt – hartnäckig Informationen gesammelt und trotz aller Rückschläge nicht lockergelassen haben. Ihnen und einer Hand voll Anwälten, die in schlecht bezahlter Wühlarbeit die Anklagen vorbereitet haben, ist etwas Unerwartetes gelungen: Sie haben international Rechtsmaßstäbe durchgesetzt, die dazu angetan sind, diese Welt wenigstens ein Stück besser zu machen.
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