orte des wissens: Altern als Chance, nicht als Last
Das Institut für Gerontologie der Universität Vechta weist Wege für einen altersgerechten Umbau der Gesellschaft
Jeder von uns altert, von Geburt an. Viele verunsichert dieser Gedanke. Sicher, die Lebenserwartung steigt, und das beruhigt. Aber wenn immer mehr Menschen immer älter werden, verändert das die Gesellschaft, von der Rente bis zur Pflege. Und Veränderung ruft Unsicherheit und Angst hervor. Altern als Chance auf mehr Erfüllung und Teilhabe? Altern als Armuts-, Krankheits- und Einsamkeitsrisiko, als Gefühl, eine Last zu sein? Zweischneidig.
„Die sinkende Zahl der Menschen im jüngeren Alter und die gleichzeitig steigende Zahl älterer Menschen verschieben den demografischen Rahmen in bisher nicht gekannter Art“, fasst das Statistische Bundesamt zusammen. Jede fünfte Person in Deutschland sei älter als 66 Jahre.
Das Institut für Gerontologie (IfG) der Universität Vechta erforscht diese Entwicklung – und zeigt Handlungsoptionen auf. Es ist einer der bundesweit führenden Wegweiser für den altersgerechten Umbau der Gesellschaft, vom Grundlagenwissen bis zur Anwendungspraxis.
„Das ist ein sehr breites Feld“, sagt Professor Harald Künemund der taz. Künemund ist Soziologe und Leiter des Fachgebiets Empirische Alternsforschung und Forschungsmethoden: „Es geht um individuelle, familiale, regionale und gesamtgesellschaftliche Aspekte des Alterns, multi- und interdisziplinär betrachtet.“
Die Bandbreite reicht von der Politik bis zur Psychologie, von der Rechts- bis zur Sozialwissenschaft. Und wer beim IfG studiert, oft aus einer Berufstätigkeit in der Altenarbeit heraus, gestaltet später die Art, in der wir unser Altern betrachten und organisieren, entscheidend mit, nicht zuletzt bei Kommunen und Wohlfahrtsverbänden, Sozialversicherungsträgern und Seniorenberatungen.
Dass Künemund Studierenden den Unterschied zwischen Gerontologie und Geriatrie erklären muss, zwischen Alterswissenschaft und Altersheilkunde, zumal Interessierten frisch aus dem Abitur, ist dabei nicht selten. Die haben dann vielleicht den Fünf-Sekunden-Youtube-Clip über die plüschkuschelige „Paro-Roboter-Robbe“ gesehen, die auf Kraulen mit genießerischem Nicken reagiert, herzig ihre Augen öffnet und schließt. Die Roboter-Robbe ist ein Hilfsmittel der Pflege von Demenzerkrankten.
Dass in Vechta über die Dynamisierung von Alterseinkommen nachgedacht wird, über die Gestaltung altersgerechter Lebenswelten, über Generationenbeziehungen, erahnt man dabei natürlich nicht. Aber Bachelor und Master dauern ja ein paar Jahre. Zeit für viel Bandbreite.
Das IfG analysiert gesellschaftliche Veränderungen nicht nur, es initiiert sie auch. Das zeigt sich deutlich, wenn Künemund von der „Flexibilisierung der Lebenslauforganisation“ spricht. Die traditionelle, starre Teilung in Schule/Bildung, Erwerbsarbeit und Ruhestand sei „ein Modell, dass heute nicht mehr gut funktioniert“, sagt er.
Künemund plädiert für lebenslanges Lernen, durchsetzt von Auszeiten, die nicht zuletzt zu mehr Geschlechtergerechtigkeit führen: „Früher hat man eine einzelne Ausbildung gemacht, 40 bis 50 Jahre in diesem Beruf gearbeitet, dann kam die Rente. Heute erleben wir so schnelle Umbrüche, dass es sinnvoll wäre, anders zu verfahren: Nach der Erstausbildung 12 bis 15 Jahre Erwerbstätigkeit, dann ein Jahr Pause, mit Zeit für die Familie, vielleicht für eine lange Reise, dann wieder ein Jahr Bildung, vielleicht sogar als Neuorientierung, dann weitere 12 bis 15 Jahre Erwerb, dann eine weitere Ruhestands- und Bildungsphase, eine weitere Erwerbsphase.“ Leider dringen solche Möglichkeiten „noch nicht wirklich zu den EntscheiderInnen in der Politik vor“, sagt Künemund.
Das IfG zeigt, dass Altern vieles ist, nicht nur ein Problem. Leider ist die Zahl der Neustudierenden jüngst gesunken. Künemund wundert das: „Die Berufsaussichten sind wirklich gut.“ Harff-Peter Schönherr
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