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orte des wissensUnendliche Weiten

Die Abteilung Astrophysik der Universität Kiel blickt in ferne Welten. Professor Wolfgang Duschl erklärt, was das bewirkt

Astrophysik ist ein Forschungsfeld, wie es größer nicht sein kann. 13,5 Milliarden Lichtjahre misst das Universum, mindestens. „Das sind Dimensionen, die dir Bescheidenheit beibringen“, sagt Professor Wolfgang Duschl der taz. Duschl ist Leiter der Abteilung Astrophysik (Itap) des Instituts für Theoretische Physik und Astrophysik der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). „Das hat auch philosophischen Charakter“, sagt er.

Die Geschichte der Kieler Astrophysik reicht bis zum Gründungsjahr der Universität zurück, bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Und obwohl das Itap klein ist, Lehrende und Studierende sind zusammengenommen nur ein paar Dutzend Personen, prägt sein Fokus unübersehbar den Campus: Das Radioteleskop aus den 1950ern, das hier aufragt, verweist auf eine Zeit, in der Kiel durch Sonnenbeobachtungen ein Weltzentrum der Astrophysik wurde. Heute wirkt das denkmalgeschützte Backsteingebäude mit seinem riesigen Parabolspiegel wie ein Lost Place, mit Rost, aufgeplatztem Mauerwerk. „Nächstes Frühjahr untersuchen wir, in welchem Zustand es ist“, sagt Duschl. „Dann wissen wir, was zu seiner Erhaltung getan werden muss.“

Dass die Kieler Astrophysik so klein ist, hat Vorteile: „Das erzeugt eine sehr intensive Arbeitsatmosphäre“, sagt Duschl. „Da sieht man schnell, wenn es bei irgendwem mal hakt.“ Der Nachteil: Kiel kann nicht die gesamte Bandbreite der Astrophysik bespielen. Schwerpunktmäßig geht es hier um die Entstehung und Entwicklung von Sternen und Planeten, um Schwarze Löcher, um die Habitabilität auf Exoplaneten. „Die Suche nach Aliens ist das aber nicht“, lacht Duschl.

Im Kern ist das Grundlagenforschung. Aber zuweilen geht es auch um praktische Anwendbarkeit: „Die Detektoren, die wir einsetzen, funktionieren ja auch auf kleine Entfernungen“, sagt Duschl und nennt Beispiele: „Da kann es dann um Umweltuntersuchungen gehen, den Grad der Abholzung des Amazonas-Urwalds, die Messung der Temperatur des Südpazifiks.“

Dass Wissenschaft, auch seine eigene Disziplin, nicht nur was für Spezialisten ist, dass Wissenstransfer wichtig ist, „Public Outreach“, zeigt Duschl im Rahmen der Schleswig-Holsteinischen Universitäts-Gesellschaft, deren Wissenschaftlicher Leiter er ist. Rund 400 allgemeinverständliche Vorträge zu vielen Fachgebieten umfasst das Programm pro Jahr; es erreicht damit rund 20.000 Bürger. „Ich habe da auch schon mal vor nur drei Personen gesprochen“, erzählt Duschl. „Aber das ist okay. Das sind drei Interessierte.“

Klar, auch beim Itap gibt es Tage der offenen Tür. „Aber das reicht nicht“, sagt Duschl. „Wir müssen rausgehen zu den Leuten.“ Eine der Zielgruppen dabei sind Schüler:innen. Aus ihnen werden dann vielleicht Studierende. Auch für Duschl selbst hat das Interesse für das All in der Schule begonnen. „Mich haben die Mondlandungen fasziniert“, erzählt er. „Ich wusste schnell: Ich mach mal irgendwas mit Weltraum.“

Beobachtung mischt sich beim Itap mit Computerjobs, mit Modellierung. „Teils hat das experimentellen Charakter“, sagt Duschl, selbst eher Theoretiker. Die Folge ist, dass die Itap-AbsolventInnen gute Jobchancen haben, auch außerhalb der Astrophysik: „Alle beherrschen mehrere Programmiersprachen, mehrere Betriebssysteme. Und wir fördern hier stark die Eigenverantwortlichkeit; man lernt also schnell, Projektentscheidungen zu treffen.“

Heute wirkt das denkmalgeschützte Backsteingebäude mit seinem riesigen Parabolspiegel wie ein Lost Place

Und Astrophysik fördert das mathematische Denken. „Wer kann sich schon vierdimensionale Räume vorstellen“, sagt Duschl, „oder Entfernungen von Zehntausenden Lichtjahren? Ich jedenfalls nicht. Das kann man nur mathematisch beschreiben.“ Unsere Vorstellungskraft resultiert eben immer noch aus dem Archaischen, Nahen: Wo lauert der nächste Säbelzahntiger? Und: Wo ist der nächste Baum?

Harff-Peter-Schönherr

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