normalzeit: HELMUT HÖGE über Herr & Gescherr
Beobachtungen von unten
Die Verhaltensforscher an der Freien Universität wagten neulich ein interessantes Experiment: Sie ließen drei Katzen – die eines Architekten, die eines Bioladenbesitzer und die eines Regisseurs/Kurators – ein neues Katzenfutter testen, das aus einem rohen, jedoch wohlriechenden Block bestand. Die Katze des Architekten zerbiss den Block in kleine Stücke, baute daraus ein Rotes Rathaus, betrachtete ihr Werk stolz – und fraß es auf. Die des Bioladenbesitzers zerkrümelte den Block in Milch, rührte den Schleim linksrum an und schlürfte ihn aus. Die des Regisseurs zerkrümelte das Futter zu Staub und sog ihn mit der Nase ein. Anschließend vergewaltigte sie die anderen Katzen und verdrückte sich mit der Bemerkung „So kann ich nicht arbeiten!“ in die Ecke.
Eigentlich hätte ihre Bemerkung lauten müssen: „Unter diesen Umständen kann ich einfach nicht kreativ sein!“ Aber auch so war das Experiment ziemlich aufschlussreich.
Ich habe mal ein ähnliches Experiment gemacht: Ich arbeitete als Knecht in der Landwirtschaft – bei einem Wesermarschbauern, einem Biolandwirt in Hessen und auf einer LPG bei Babelsberg. Der Wesermarschbauer sagte: „Sie können bei mir anfangen, aber ich kann nix zahlen. Und wir müssen uns duzen.“ Später lieh er mir seinen Mercedes, wenn ich in die Disco wollte. Außerdem musste ich seine Frau trösten, wenn er in einer Kneipe versackte. Dann sollte ich noch zwischen ihm und seinem Schwiegervater vermitteln, der nicht aufs Altenteil wollte. Ich wurde Sozialmanager des Hofs, dafür weckte mich der Bauer erst, wenn alle die Tiere gefüttert hatte.
Beim Biolandwirt war ich in einem Nebengebäude untergebracht. Der Hofbesitzer siezte mich, vor allem wenn Selbstabholer kamen, denen ich die Lebensmittel auf den Parkplatz tragen musste, für dessen Sauberkeit ich am Wochenende zuständig war. Dafür bekam ich 160 Mark Wochenlohn als selbst zu versteuerndes Honorar.
Auf der LPG hatte ich Probleme mit den Kollegen aus meiner Brigade: Wenn ich dem Fahrer sagte: „Bring doch mal Zement mit, dann verputz ich die Löcher in der Stallwand“ – dann bekam ich zu hören: „Bist du verrückt, dafür ist die Maurerbrigade zuständig!“ – „Aber die ist doch längst aufgelöst“, erwiderte ich. „Darüber müssen die sich da oben einen Kopf machen!“ Punktum. Selbst wenn ich mal gut drauf war und die Stallgasse fegte, intervenierten meine Kollegen: „Mach das nicht zu gut, das stecken sich sonst nur die da oben wieder an den Hut!“ Gelegentlich fotografierte ich unsere Arbeit, der Brigadier sah das aber nicht gerne: „Bist du von der Stasi oder was?!“, fragte er misstrauisch. Nachdem ich jedoch einmal im Frauenruheraum einen kleinen Diavortrag zum Besten gegeben hatte, änderte er seine Meinung. Nun sagte er mindestens täglich: „Hol deine Kamera raus, wir treiben nachher die Rinder um!“ Als Lohn bekam ich 1.000 Mark Ost im Monat, das Geld wurde täglich weniger wert, sodass ich es gleich im Osten ausgab, was immer schwieriger wurde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen