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normalzeitHELMUT HÖGE über Kampftage

Veni, vidi, verdi

Gerade noch rechtzeitig flatterten mir zwei Flugis ins Fluxushirn. Zuerst der neue „Donaldist“ – mit einem Artikel von Widerstandsforscher Hans-Dieter Heilmann, in dem er – zum „Kampftag des Donaldismus“: am 1.April – noch einmal an den legendären 1. April 1984 in Neukölln erinnerte. Damals war das dort noch ein so genannter Arbeiterbezirk, aber die Donaldisten waren – als Entenhausener Sozialforscher – schon hellsichtig genug, den Karl-Marx-Platz zu Ehren des US-Comiczeichners in „Carl-Barx-Platz“ umzubenennen. Denn unsere „sekundäre Primärsozialisation“ nach dem Krieg geschah wesentlich durch „Donaldisierung“, was einen Antiödipus-komplex zur Folge hatte: Nicht den Vater, der unsere Mutter bestieg, wünschten wir zu beseitigen, sondern die Mutter selbst, die unsere „Heftchen-Sammlung“ beseitigte. Dabei waren wir uns zugleich mit ihr einig, dass die Amis allemal die besseren Sieger waren. Während sie dabei jedoch an die gegen Billigsex getauschten „Food-Rations“ und Nylonstrümpfe dachte, machten uns die laut Heilmann „in der Uniform der Besatzungsmacht zurückgekommenen Emigranten, hauptsächlich Juden, die in Nürnberg über die deutsche Herrschaftselite zu Gericht saßen, Siegerjustiz übten und Terrorurteile fällten“ happy.

Dazu kamen dann noch die „Girl-Kultur, Neger-Jazz und US-Schundfilme“ und last, but not geleast: „Mickymaus“. Auf der anderen Seite gab es damals in der BRD mehr Ex-NSDAPler im Staatsdienst als vor dem Krieg, dazu kamen noch Millionen rechter Mörder, Folterer und Denunzianten – aus allen zuvor von den Deutschen besetzten Ländern, die mit dem Vormarsch der Roten Armee „heim ins Reich“ ausgewichen waren. Statt Heil Hitler schrien sie jetzt Heil Kräuter! Diese Schweinebacken hoben sodann gegen den verderblichen Einfluß des Donaldismus auf die deutsche Jugend die „Rasselbande“ aus der Taufe – deren „Altersmitglied“ unter anderem Carl Diem, zuvor Generalsekretär für die Olympischen Spiele 1936, war. Auf dem „Carl-Barx-Platz“ nun führte Heilmann aus, dass demgegenüber „die einst mit Rumpf & Stumpf ausgerottete Gegenkultur der Kommunisten, Bolschewisten, Emigranten und vor allem Juden doch so recht eigentlich die sei, die es – über den Umweg USA zurückgekehrt – zu beachten gelte“. Amen.

In Berlin wurde am 1.Mai 1984 der linke und gewerkschaftliche Demozug über den wieder in „Karl-Marx“ rückbenannten Platz geführt. Eine der Demo-Parolen lautete: „Was wir wollen – Arbeiterkontrollen.“ Ein am Rand gaffender kranker Neuköllnprolet geiferte: „Wat! Jetzt wolln se uns och noch kontrollieren?!“ Aber nun gut.

Das Proletariat hat sich inzwischen gesundgeschrumpft – und seine Kampforganisationen DAG, DPG, HBV, IG Medien, ÖTV fusionierten gerade – zu Ver.di(mit „95,9 Prozent aller Stimmen“). Dazu bekam ich ein „Extra“-Blatt. In ihm heißt es: „Unterschiedlichkeit, Individualität sind für Ver.di keine Schreckensgespenster, die Solidarität untergraben, sondern eine positive Herausforderung.“ Außerdem wird vermeldet, dass die ÖTV-Krankenschwester Karin Hug in Günter Jauchs Millionärsquiz 125.000 DM gewann – weil sie den Kampfnamen ihrer neuen Organisation verriet: „Ver.di“. Ich gestehe, über die IG Medien bin ich dort auch Mitglied. Und ich schäme mich dafür! Am 1. Mai marschiere ich deswegen nicht im „Künstler“-, sondern im „Kirchen-Block“ mit. Bei den Protestanten bin ich nämlich auch noch Mitglied. Erst wenn die auch fusionieren – und sich womöglich Ver.ki nennen –, bleibe ich am 1. Mai zu Haus, schlafe aus und gehe zur nachmittäglichen Autonomen- und Türken-Demo im Pinkelpark.

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