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nebensachen aus brüsselAuch Eurokraten wollen einmal nahe dran sein

Möchtegern-Fußballnationen im Europaparlament

Da sage noch einer, die Eurokraten hätten keinen Sinn für die wesentlichen Dinge des Lebens. Auch in Brüssel dreht sich dieser Tage alles um die Fußball-WM. In den Pubs werden die Riesenbildschirme in Stellung gebracht. Im Europaparlament ehrte der Binnenmarkt-Spezialist Klaus-Heiner Lehne die EU-Kommission als Schutzpatronin des Free-TV. Der europäischen Fernsehrichtlinie sei zu verdanken, dass kein Sender für Spitzenspiele von den Zuschauern extra kassieren dürfe.

Die Fußballfunktionäre sind keineswegs der Meinung, die EU hätte ein Herz für ihre Belange. Sie sehen sich der Möglichkeit beraubt, die Senderechte noch teurer zu verscherbeln und sind deshalb auf die EU nicht gut zu sprechen. Wettbewerbskommissar Monti haben sie ohnehin im Visier. Er zwang die Vereine, ihren Spielern mehr Freiheit beim Wechsel des Arbeitgebers einzuräumen. Bundesligamanager schimpfen nun, nicht Leo Kirch sei schuld an ihrer Finanzmisere, sondern Mario Monti, der es mit dem freien Markt zu genau nehme. Die neu gewonnene Freizügigkeit mache Spitzenkicker noch unverschämter in ihren Gehaltsforderungen.

Wie um die wachsende Kluft zwischen Europas Politikern und dem Lieblingssport der europäischen Wähler zu überbrücken, trugen die Europa-Abgeordneten letzte Woche ihren eigenen „European Parliament World Cup“ aus. Ob Italien oder Kroatien das Rennen machen würde, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Den Sympathiepreis des Publikums holte zweifellos Slowenien. Es schied zwar in der Vorrunde aus, verschenkte aber an die anderen Mannschaften Sonderbriefmarken. Die hätten die keltischen Nationalisten sicher auch gern. Immerhin durften irische, walisische und schottische Spieler beim Parlamentscup zu Dudelsackklängen als gemeinsame Mannschaft ins Stadion ziehen.

Wie ernst manche Parlamentarier den Nationalsport nehmen, hatten sie schon bei ihrer Sitzung Anfang April in Straßburg klargestellt. Damals sollte das Plenum über einen Bericht des Abgeordneten Gérard Deprez abstimmen, der sich mit Gewaltproblemen bei internationalen Fußballwettkämpfen befasst. Mit überwältigender Mehrheit billigte das Plenum die Ergänzung, dass „nationale Fußballteams nicht notwendigerweise deckungsgleich mit Mitgliedsstaaten sind und die verschiedenen Fußballtraditionen innerhalb der Mitgliedsstaaten berücksichtigt werden müssen“. Der walisische Abgeordnete Eurig Wyn stellt mit Sorge fest, dass die Leute alle Briten in einen Topf werfen. Das Waliser und das schottische Nationalteam dürften aber nicht für das schlechte Benehmen von „Hooligans mit anderem nationalen Hintergrund“ haftbar gemacht würden. Schottische Fans seien humorvoll, ergänzte ein schottischer Abgeordneter. Spätestens nach dieser Einlassung musste dem letzten Zuhörer klar sein, wofür englische Fans nicht berühmt sind.

Prompt wollen auch Galizier, Basken und Flamen ihre Nationalelf. Bei der Debatte sagte der flämische Abgeordnete Bart Staes, er freue sich auf den Tag, an dem ein eigenes Flandern-Team bei der Fifa akkreditiert werde. Seine Fans werden sich humorvoller und höflicher betragen als die wallonische Konkurrenz – das versteht sich für Staes von selbst. DANIELA WEINGÄRTNER

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