nächste generation: Die Spiele mit der Mauer
In der Stadt meiner Kindheit bin ich mit einer Mauer aufgewachsen. Sie stand nicht in Berlin und war auch nicht wirklich hoch. Sie verlief im rechten Winkel zur Vorderfront unseres dreistöckigen Mehrfamilienhauses und trennte uns Ende der 60er-Jahre von den ersten türkischen Gastarbeitern in unserer Stadt. Jahrelang versuchten wir Kinder, deutsche und türkische, mit dem Fußball ein Loch in die Mauer zu schießen, was uns natürlich nicht gelang. Das einzige Loch, das ich jemals in eine massive Grenze trat, war aus Wut das Loch in die Küchentür unserer Wohnung, hinter der sich mein Bruder verbarrikadierte.
von PETRA WELZEL
Viele Jahre später, als ich zum ersten Mal vor der Berliner Mauer stand, war ich fasziniert und ungläubig zugleich. Da teilte eine bunt bemalte Wand einfach längs ein Straße und nirgendwo gab es eine Tür zur anderen Seite. Sie dividierte eine ganze Stadt und zog sich wie eine lose Schlinge um den einen Teil, in dem ich fortan leben wollte.
Ich lernte mit der Mauer zu leben und machte keine Anstalten, sie gewaltsam zu durchbrechen. War sie aus den Augen, war sie auch aus dem Sinn. Viel schärfer fand ich es, Ende der 80er in der Uni dieselbe Bank wie einst Gudrun Ensslin zu drücken. Ich hatte die RAF-Frau für ihre konsequente Haltung bewundert. Mit ihrem Mut hätte man wohl auch die Mauer sprengen können – wenn sie einen interessiert hätte. Sie war da, selbstverständlich, unverrückbar. Und mit einem Westberliner Ausweis konnte man sie schließlich jederzeit passieren, außer nachts.
Seit 12 Jahren ist die Mauer aus dem Weg geräumt – und das ist ebenso selbstverständlich. War da mal was, was die Freunde aus dem Ostteil daran hinderte, uns im Westen zu besuchen? Dass wir mitternachts durch Prenzlauer Berg zogen auf der Suche nach Wein, ungarischem Stierblut?
Die Mauer ist gefallen und längst auch die gern zitierte Mauer in den Köpfen von Wessis und Ossis. Frontstadt wurde Berlin einmal genannt, aber die Fronten verlaufen längst nicht mehr zwischen Osten und Westen. Eher schon zwischen Arm und Reich, dem Berliner „Miljöh“ und der neuen Mitte-Schickeria.
Paul, der 18-jährige Sohn Ostberliner Freunde, hat schon gar keine Erinnerungen mehr an die Mauer. Seine drei jüngeren Geschwister erst recht nicht. Anna ist mit zwölf Jahren eines der Nach-Wende-Kinder, die Generation null. Dass ihr Vater mal an einer Mauer stand und kleine Segmente herausmeißelte, findet sie komisch. Von welcher Mauer redet ihr denn? Karl (14) sagte letztens: „Iieh, du bist aus’m Westen?“ Und fand, das sei eine coole Anmache. Ohne Mauer zu leben, die sie überhaupt nicht kennen, heißt, fast so viel Schokolade zu haben, wie man mag. Das wissen sie noch, dass es die früher kaum gab.
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