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nachgeredetDie Bremer Kulturstaatsrätin hat eine würdelose Trauerrede gehalten

Trauerreden zu besprechen, gilt als unschicklich. Und auch, wenn einige Ne­kro­lo­g*in­nen offenbar genau auf diese Narrenfreiheit bauend ihr geplantes Gerede vorab nicht noch einmal kritisch durchsehen – es bleibt ein unangenehmes Geschäft, für den, der’s tun muss.

Aber notwendig werden kann es eben doch. Denn Carmen Emigholz (SPD), in Bremen seit 18 Jahren als Staatsrätin für Kultur und Medien zuständig, hat ihre Ansprache zur Gedenkfeier von Generalintendant Michael Börgerding als „traurigste, aber auch wichtigste Rede“ ihrer Laufbahn bezeichnet. Sie muss also als Politikum ernst genommen werden. Weniger, weil das Epitaph in diesem Fall den schmalen Grat zwischen Privat-Familiärem und Öffentlichem komplett verfehlt. Auch nicht, weil Emigholz’Ansprache, gehalten am 24. Januar 2025 in der Propstei-Kirche St. Johann, auf bizarre Weise nicht die Begegnungen mit dem Verschiedenen oder seine Verdienste, sondern die Leistungen der Rednerin in den Mittelpunkt gestellt hat. Klar ist schmerzhaft peinlich, dass es in diesem Rahmen ihr größtes Herzensanliegen war, auszuführen, dass und wie sie, Carmen Emigholz, 2010 in der Intendanz-Findungskommission die Einzige gewesen wäre, die Börgerdings 48-seitige Bewerbung durchgelesen hätte. Aber so etwas ist verschweigbar. Ist ja bloß Pietät beziehungsweise keine, wo welche hätte sein müssen. Und ihr Fehlen ist bestimmt ein Ausdruck der überbordenden Gefühle. Um Trauer eine Form zu geben, dafür wäre Kunst zuständig.

In der Abwesenheit der Kunst aber bricht die rohe, unverstellte Ehrlichkeit durch. Und da ist es dann doch bemerkenswert, wenn die Staatsrätin, vielleicht um sich den anwesenden Theaterleuten anzubiedern, die Presse thematisiert, und zwar mit dem Schmähbegriff „Journaille“. Sie habe sich mit Börgerding auch dann verständigt, wenn mal wieder die Journaille etwas Böses geschrieben habe, so die Staatsrätin, die in Bremens Senat für Medienpolitik zuständig ist.

Da kann man sich freuen, dass sie nicht gleich von Lügenpresse gesprochen hat. Immerhin war’s ja der Sprachvirtuose Karl Kraus gewesen, der dieses Kofferwort aus Journalist und Kanaille – also schändlicher Mensch, Gesindel, Hundepack – ersann. Nur: Es ist etwas anderes, ob ein Publizist den Begriff vor 120 Jahren prägt, um selbstironisch die eigene Zunft zu beschimpfen. Oder ob ihn die Exekutive jetzt wieder aufgreift, in einer Zeit, in der Presse verunglimpft, mit Kot beschmiert und verprügelt wird, obwohl der Begriff eine so steile wie schlimme Karriere hinter sich hat: Ab 1933, dem Jahr, in dem Theaterpolitik dem Reichspropagandaministerium unterworfen wird, schnellt die Verwendungskurve steil nach oben. Spätestens im Jahr 1936 ist das Bonmot zum Fachausdruck avanciert. Höhepunkt der Nutzung des Wortes war laut Google-Statistik das Jahr 1941. Bewundernd schreibt der NS-Germanist Werner Schulze 1943: „Als Dr. Goebbels seine Gegner von der,Asphaltpresse' treffen wollte, da schleuderte er ihnen die vernichtende Bezeichnung ‚Journaille‘ entgegen.“

Dass die Bremer Kulturstaatsrätin sich dieses Wort in der ihren Angaben zufolge wichtigsten Rede ihres politischen Lebens nicht verkneifen kann, ist würdelos. Sie zehrt dabei anmaßend von den Verletzungen, die sich aus dem spannungsvollen Verhältnis zwischen Kunst und Kritik ergeben: Kritik hat ja das intime und zutiefst persönliche Werk im öffentlichen Diskurs zu erproben und als Beitrag zu ihm zu bewerten. Kritik vergesellschaftet es, und das kann schlimm weh tun.

Da kann man sich freuen, dass die Staatsrätin nicht gleich von Lügenpresse, sondern nur von Journaille gesprochen hat

Dass sich die Stätten der Kunstproduktion und ihre Ak­teu­r*in­nen dagegen manchmal abschotten – vielleicht muss das so sein. Ein Nekrolog jedoch, der aus diesem Verhältnis ein Freund-Feind-Schema ableitet und es versucht zu funktionalisieren, ist antidemokratisch: keine Trauer-, sondern Nachrede. Und zwar sehr übel. Benno Schirrmeister

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