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matthias urbach über NebenwirkungenTöten ist nicht schön

Was ist schon ein 0,2 Millimeter großer Zellklumpen, verglichen mit Godzillchen in der Klappfalle

„Life is a lesson: You learn it, when you’re through.“ Limp Bizkit, aus „Take A Look Around“

Es ist das erste Mal, dass ich meine Frau weinen sehe. Wir stehen vor der Heizung in der Küche. Darunter hatte ich auf ihren Wunsch eine Mausefalle aufgespannt. Und nun liegt sie dort: eine kleine braune Maus mit schwarzen Knopfaugen – und eingeschlagenem Genick. „Was für ein niedliches Tier“, stellen wir fest.

Töten ist nicht schön. Wenn es um Leben und Tod geht, dann hebt der Bundestag sogar den Fraktionszwang auf. Wie letzte Woche bei der Stammzellenabstimmung. Die Abgeordneten müssen sich plötzlich selbst entscheiden. Wortreich suchen sie nach dem rechten Weg, und das ist wirklich spannend: weil sie nicht wie üblich darum kreisen, wer gerade Schuld hat.

So wie wir. Natürlich wollten wir die süße Maus nicht töten. Aber wir wollten auch nicht, dass unser kleiner Sohn ihre Kötel kaut. Also versuchten wir, die Maus zur Terrasse herauszutreiben, verriegelten Türen, verschoben Schränke, verhoben uns am Sofa. Wir schwitzten und schimpften. Vergeblich.

Schließlich kaufte meine Frau die Klappfalle. Wir hätten auch eine Lebendfalle nehmen können. Doch dann sprachen wir mit unseren Nachbarn, die ebenfalls ein Kleinkind haben, und erfuhren, wie sie vier Nächte zwischen ihren Sesseln herumgekrabbelt waren, um „Godzillchen“ – so nannten sie inzwischen ihren Untermieter – in die Lebendfalle zu treiben. Und wie sie die Maus auf dem Hof wieder ausgesetzt hatten. Vermutlich ist es sogar Godzillchen, deren Pelz nun in unserer Klappfalle klemmt.

Ein Landwirt hätte seinen Spaß an solchen Städtern gehabt. Doch mir ist das egal. Jeder muss sein Tun schließlich selbst verantworten. Schon in meiner Jugend fiel es mir schwer, Vertrauen in Gesellschaft und Staat zu gewinnen. Ich glaubte weder an Nachrüstung, Atomkraft, Volkszählung – noch an Gott. So wurden ethische Entscheidungen knifflig.

Jahrelang quälte ich mich durch verschiedene Stufen des Vegetarismus. Zunächst wollte ich kein Lamm oder Kalb mehr essen. „Die sollen ruhig noch ein bisschen länger leben.“ Dann verzichtete ich ganz auf Säugetiere. Schließlich sind das nahe Verwandte.

Irgendwann ließ ich auch Hühner und Puten weg, weil die in der Haltung so gequält werden. Und Enten, meine Lieblingstiere. Auch Krabben verschonte ich: Es kam mir unverhältnismäßig vor, ein ganzes Massengrab auf den Teller zu häufen.

Einerseits beneidete ich meine Schwester um ihre Klarheit: „Wer Tiere isst, ist ein Mörder“, sagte sie – und rührte kein Fleisch mehr an. Andererseits ist der Mensch von Natur aus ein Allesfresser. Von Natur aus müsste man die Tiere allerdings auch eigenhändig töten. „Was soll’s?“, dachte ich, „Fisch ist schließlich auch ganz lecker.“

Und doch hätte ich keine Skrupel gehabt, meine Zähne in ein saftiges Pitbullschnitzel zu schlagen. Diese Tiere kann ich einfach nicht ausstehen.

Damit gehöre ich einer krassen Minderheit an. Obwohl ein blondes Wollschwein viel niedlicher ist als ein Pitbull, gibt es in Europa keinen Zweifel, dass man nur Ersteres vertilgt. Ein Chinese fände an beidem Gefallen, ein Ägypter vermutlich an keinem von beiden. So ist das mit der Ethik: Sie ist eben auch eine Frage der Gewohnheit.

Auf Gewohntes kann man sich auch bei den embryonalen Stammzellen nicht verlassen. Über die Rechte eines ein Fünftel Millimeter großen Zellklumpens musste sich der Bundestag bislang noch keine Gedanken machen. Darf man den töten? Darf man überhaupt von töten sprechen? Ist es für eine gute Sache? Und ist die Sache gut genug? Während die einen das Christentum anführen, denn „der Mensch ist das Ebenbild Gottes“, tun das auch die anderen, denn es heißt, „macht euch die Erde untertan“.

Ein schönes Chaos. So unsicher sind alle Seiten, dass sie es ausnahmsweise unterlassen, die Gegenseite als unmoralisch zu beschimpfen.

Mir ist das sympathisch. Warum soll es nur mir mit dem Fleischessen so gehen? Es tut gut zu sehen, wie der Bundestag im großen Meer der Werte herumpaddelt, um ans Ufer zu kommen. Das versöhnt.

Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, ab und an ein Schweinesteak zu braten. Aber nur von glücklichen Schweinen vom Biohof.

Und meine Frau hat die dritte Maus samt Falle sogar selbst in die Tonne geworfen.

Das ganze Leben ist eine Lektion. Und Limp Bizkit hat Recht: „Du lernst sie, wenn du damit durch bist.“

Fragen zu Nebenwirkungen?kolumne@taz.de

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