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lebensmittelskandalNahrung für die Infogesellschaft

Über einen ökologisch korrekt produzierenden Futtermittelhersteller ist ein seit 20 Jahren verbotenes Pflanzenschutzmittel in die Nahrungsmittelkette eingedrungen. Wer auch immer für den Einsatz des Krebserregers Nitrofen verantwortlich ist – ein Skandal erschüttert die Biolebensmittelbranche, und er wird sie enorm schädigen.

Kommentar von NICK REIMER

Eine Bezeichnung als „Nitrofen-Skandal“ würde den Vorgang allerdings verharmlosen. Das Hauptproblem der Biobranche ist nicht Nitrofen, sondern ihre Informationspolitik. Große Transparenz, hohe Eigenauflagen und eine intensive Selbstkontrolle – das sind die Markenzeichen der ökologisch produzierten Lebensmittel. Zwar loben die Hersteller ihre guten Selbstkontrollen, die zur Entdeckung des Nitrofens führten. Doch was nützen alle Analysen, wenn niemand etwas davon erfährt und so die Aufklärung der Verbraucher und auch der Verarbeiter verhindert wird? Längst sind nun die belasteten Futtermittel gefressen, die belasteten Tiere zu Wurst verarbeitet und die Wurst aufs Brot gestrichen.

Die BSE-Krise hat gezeigt, wie kurz das Gedächtnis der Verbraucher sein kann. Es ist ja nicht so, dass heute wesentlich weniger BSE-Fälle in Deutschland registriert würden. Dem Rindfleischabsatz schadet das aber kaum noch: Es wird gegessen, was das Zeug hält, fast wieder so viel wie vor dem Beginn der BSE-Krise. Die Hoffnung, dass das Kurzzeitgedächtnis auch dem zarten Pflänzchen „ökologische Lebensmittelwirtschaft“ helfen wird, ist allerdings unangebracht. Im Ökosektor gehört Glaubwürdigkeit unmittelbar zum Produktcharakter, und nicht zufällig ist Biofleisch gerade in der gut verdienenden Infogesellschaft so populär. Die aber reagiert auf nichts so allergisch wie auf vorenthaltenes Wissen – auf einen Informationsskandal.

Begrenzen lässt sich der Schaden jetzt nur, wenn die Anbauverbände offensiv mit diesem Skandal umgehen. Die Agöl, die Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Anbau, hat ihre Untauglichkeit als selbst verwaltete Richtlinien- und damit Regulierungs- und Kontrolleinrichtung bewiesen, der Naturland-Verband handelte zu langsam, und die Meldemechanismen sind zu wenig bindend. Die gesamte Qualitätsprüfung von der Erzeugung bis zum Verbrauch muss transparenter und schneller werden. Die Branche muss jetzt beweisen, dass nicht nur ihre Philosophie reiner ist als die der konventionellen Landwirtschaft – sondern auch ihre Konsequenzen unkonventioneller.

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