kritisch gesehen: Liebe im Fahrstuhl
Mit Anfassen: In Hamburg spürte die interaktive Opern-Performance „It‘s a Match“ dem nach, was heutzutage als Romantik durchgeht
Ganz oben riecht es nach getrockneten Rosen, Veilchen und Wachs. Durch rosarote Brillen kann man dort auf der Tribüne für eine kurze Ewigkeit die eigene Sicht auf die Welt verklären und mit einem kleinen, pochenden Herzen in der Hand die Liebe spüren. Oder eben das, was man sich darunter vorstellt. Von da oben hat man sogar beinahe einen Überblick über das Geschehen: In einer fast labyrinthischen Anordnung nämlich verlieren sich die Zuschauer*innen auf der Kampnagel-Bühne – in einem Parcours rund um die Liebe, erste Dates und romantische Gefühle.
Acht Aufzüge haben sich die Musiktheaterregisseurin Kerstin Steeb und ihr Team erdacht für eine Auseinandersetzung mit Richard Wagners „Lohengrin“: „Nie sollst Du mich befragen“, fordert darin der titelgebende Gralsritter, nachdem er Königstochter Elsa gerettet hat und die sich in ihn verliebt. Ausdruck schonungslosen Chauvinismus’, oder erzählt die Forderung vom tiefen Glauben an ein Leben in vollstem Vertrauen? In Wagners Oper, uraufgeführt 1850, hält sich Elsa nicht daran und bezahlt dafür mit ihrer Liebe – und ihrem Leben.
In acht Aufzügen, ganz wörtlich genommenen Fahrstühlen – auf Dating-Plattformen beliebt als Selfie-Location – inszeniert Steeb ein gefühlvolles, assoziatives Panoptikum rund um Lohengrins Frageverbot. Von Hanne Lenze-Lauch in üppiges Brautkleidweiß gekleidet, (ver-)führen ein halbes Dutzend Performer*innen die Zuschauer*innen immer wieder zu Nähe, Blickkontakten und Berührungen. Befragen sie sanft zu Sehnsüchten, Opernmomenten und Fahrstuhlhypnosen. Der jeweilige Fahrstuhl fungiert dabei als Mini-Bühne auf der Bühne: Margarethe Mast hat sich die acht Kammern ausgedacht, unterschiedliche Erfahrungs- und Gefühlswelten für die Zuschauer*innen. Dort können sie etwa mit einer Fremden Blickkontakt halten, sich selbst im Zerrspiegel betrachten, einen singenden Kühlschrank öffnen – darin: lauter „Wagner“-Pizzen – oder auf einer Chaiselongue mit Schwan vor weichgezeichneten Pferden für ein Polaroid-Foto posieren, das nach der Aufführung dann vielleicht mit dem einer*s anderen Zuschauer*in das „perfect match“ ergibt.
Mit ihrer installativen, interaktiven Performance „It’s a Match“ umkreist Steeb Fragen von romantischer Liebe bis pragmatischer Gegenwart, lotet lose das Spannungsfeld aus zwischen womöglich verführerischem Geheimnis und ernüchternder Transparenz. Entsteht und überlebt die Liebe eher mithilfe märchenhafter Schwäne und im undurchsichtigen Ungewissen – oder wenn im Dating-Profil alle Fragen beantwortet sind?
Auch mit den elegischen Melodien der Komponist*innen Jana De Troyer und Luca Sutto wird mal der flüchtige Moment gefeiert, mal das Abenteuer des Unbekannten: mit Saxofon, Cello und Gesang, mit Oscar Wilde, Matthias Reim und Camille Saint-Saëns. Immer wieder umstreifen Sopranistin Florentine Schmalz und Tenor Ferdinand Keller einander und das Publikum, singen „Lohengrin“-Motive und, herzzerreißend langsam, Kate Bushs „The Man With the Child in His Eyes“. Zwischendurch stöhnen sie lustvoll, hinterfragen die Ehe und überlegen, ob die eine, wahre Liebe, doch die ist, die im Nebel bleibt In die Liebe verliebt seien sie, das geben sie gerne zu, sind sie beide. Lohengrin und Elsa aber sind sie nicht. Oder vielleicht doch? Katrin Ullmann
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