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kampf gegen rechtsNotwendige Verständigung

Zwischen 1990 und 1992 stieg die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten von 306 auf 2.584. 1995 lag die Zahl bei 837 und im vergangenen Jahr bei 746. Die Lage ist also immer noch ernst, aber nicht hoffnungslos, zumal die Gesellschaft nicht bereit ist, sich mit der relativen Beruhigung der Lage zufrieden zu geben. Inzwischen fordern Vertreter aller Parteien ein stärkeres Engagement gegen rechts. Das ist zu begrüßen. Über die Wahl und Verhältnismäßigkeit der Mittel muss politischer Streit erlaubt sein. Deshalb stimmt es nachdenklich, wenn der Grünen-Vorsitzende Kuhn auf die Kritik des CDU-Generalsekretärs Polenz, Rot-Grün habe beim Umgang mit rechter Gewalt versagt, kontert: Jetzt sei nicht die Zeit für Parteienstreit.

Kommentarvon EBERHARD SEIDEL

Polenz hat Recht. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Regierungspolitik und Aktivitäten der rechten Szene. Die Herrschenden haben bei der Setzung von Deutungsmustern mehr Macht als andere. So galt Anfang der 90er-Jahre: Die Welle der rechten Gewalt war dem Transformationsprozess der ehemaligen DDR und dem Anti-Asyl-Diskurs vor allem der Union geschuldet.

Heute trägt eine rot-grüne Regierung die Verantwortung. Zum Beispiel, wenn sie, wie Kanzler Schröder, den Nützlichkeitsaspekt von Einwanderern allzu häufig unterstreicht. Wo es Nützliches gibt, existiert Unnützes. Diese Dialektik beherrscht nicht nur Innenminister Schily, sondern auch die extreme Rechte.

Im Kampf gegen rechts muss das Rad nicht neu erfunden werden. Nach 1993 ging die Zahl rechter Gewaltdelikte aus drei Gründen zurück. Erstens: Millionen von Bürgern gingen auf die Straße. Zweitens: Die Strafbehörden reagierten schneller, konsequenter und auch härter. Drittens: Die politische Klasse stellte ihre Asylhetze ein, nachdem sie den Artikel 16 GG weitgehend abgeschafft hatte.

Trotz beachtlicher Erfolge im Verlauf der 90er-Jahre – verschwunden war der Rechtsextremismus nie. Vielleicht gelingt es mit der neuen Offensive, die Zahl der Delikte weiter zu verringern. Ein Problem wird bleiben: Völkische Ideologien sind vor allem für junge Männer attraktiv, die das Gefühl haben, nicht an der Globalisierungs- und Modernisierungparty teilnehmen zu können. Davon gibt es besonders viele in Ostdeutschland, aber auch in innerstädischen Gebieten wie Berlin-Kreuzberg. Neben dem Kampf gegen die rechte Gewalt stellt sich die Frage: Welchen Platz teilt Rot-Grün ihnen im gesellschaftlichen Modernisierungsprozess zu?

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