kabolzschüsse: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart
Footbag
„Ich verabscheue euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst“ – diese Liedzeile von Tocotronic mag für Keulenschwinger und Ringewedler zutreffen, nicht so für Footbagger. Das zumindest finden die Mitglieder des FC Footstar Berlin, die jeden Donnerstag und Freitag von 17 bis 19 Uhr in der Turnhalle des Lette-Vereins in Schöneberg ihre Hacky Sacks jonglieren. Inzwischen kommen bis zu 50 Enthusiasten zwischen 12 und 25 Jahren, die sich die Moves der Fachbagger um Ole „Schnick“ Schnack und David „Drachenjäger“ Latotzky abkupfern.
Footbag? Hacky Sack? Schnick Schnack? – Eigentlich erfand der US-Amerikaner R. John Stalberger den kleinen Stoffball Mitte der Siebzigerjahre, um damit sein verletztes Knie zu trainieren. Für die ersten Beutel genügten alte Socken oder zugenähte Jeanstaschen, mit Mais oder Knöpfen gefüllt. Doch Stalberger entwickelte Jongliertrieb, fand Socken kickende Nachahmer und brachte seine Idee 1977 auf den Markt. Der Stoffbrocken mit einem Durchmesser von fünf bis sieben Zentimetern hieß nun Hacky Sack, der Sport dazu Footbag. Innerhalb von acht Monaten verkauften sie 77.000 Säcke. Heute kommt selbst Adidas nicht um eine eigene Kollektion herum. Mehr Kommerzzutaten folgten nicht. Zum Sacken braucht der Hacker nur Geschicklichkeit, eine Prise guten Wetters oder eine Hand voll Dach überm Kopf.
Die Anfänge des Footbag ruhen jedoch bei den Indianern, die im religiösen Wettkampf zuerst runde Steine oder Holzkugeln bis zu zwanzig Meilen vor sich herschoben. Später verwendeten sie einen mit Kieselsteinen oder Sand gefüllten Leder- bzw. Häkelball, der mit den Knien kickbar war. Ole Schnack, Dritter der diesjährigen Deutschen Freestyle-Meisterschaften, geht sogar noch weiter zurück: „Die Wurzeln liegen wohl in Ostasien, wo seit Jahrhunderten Federfußball gespielt wird.“
Jenseits der Mythen dominieren heute drei Disziplinen: Jonglieren, Freestyle und Netbag. Der Jonglier-Weltrekord liegt bei 12.838 Kicks, die in fünf Stunden und zehn Minuten gehackt wurden. Beim Freestyle Footbag perfektionieren die Akteure so genannte Stalls, Aerials und Dextery Moves. Hierbei handelt es sich um das Fangen unterhalb der Taille, kunstvolle Sprünge und Drehungen und das gelenkige Umkreisen des in der Luft liegenden Balles. Netbag hingegen funktioniert volleyballähnlich über ein Badmintonnetz als Einzel oder Doppel. Yuppiebagger spielen aber gelegentlich auch Footbag Golf, zusätzlich eine der WM-Disziplinen.
Die Ausrichtung der WM ist ein langfristiges Ziel des FC Footstar Berlin, der laut Infobroschüre die „Schlüsselrolle in der Entwicklung von Footbag in Deutschland“ einnimmt, aber auch „zur Förderung des Sports als Teil der Straßenkultur beitragen“ will. Im Juni 1999 durfte Footstar bereits die European Masters mit 120 Fußsäcklern aus 12 Nationen austragen. 3.000 Zuschauer strömten in die Hackarenen. Auf dem Weg zur eigenen WM werden aber wohl noch viele Hacky Sacks mit Füßen getreten, denn seit 20 Jahren findet jedes Weltfußsackturnier in Nordamerika statt. GERD DEMBOWSKI
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