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jürgen witte über WarnungWo Kalk blüht und Moose wachsen

Beton ist mit Zement zusammengeklatschter Sand – auch als Holocaust-Mahnmal. Monolog eines Betonbauers

Schön soll es werden? Schön? Andauernd höre ich, wie Architekten ihren Bauherrren erzählen, wie schön so eine Betonwand sein kann. Aber – ich sag’s Ihnen ganz ehrlich: Ich habe noch nie eine schöne Betonoberfläche gesehen. Beton sieht aus wie Beton, rationell, billig, praktisch. Aber schön? Schön ist was anderes.

Das wird doch hier so was wie ein Friedhof, symbolisch gewissermaßen, ein paar tausend Gräber, ordentlich in Reih und Glied. Aber eine Grabplatte in Beton? Auf keinem normalen Friedhof würden Sie das durchbringen. Lesen Sie mal die Friedhofsordnungen durch. Granit, Marmor, auch mal Sandstein – aber Beton auf dem Grab? Das ist ganz sicher nirgendwo erlaubt.

Sehen Sie mal, ich habe mein Leben lang Stahlbetonwände hochgezogen. Aber wenn mir einer sagen würde: „Deinen Grabstein machen wir dir schön in Beton!“ – dem würde ich was husten. Das verwittert doch. Was ist denn Beton? Sand! Mit Zement zusammengeklatschter Sand! Das bröselt, zwangsweise, an den Kanten und Ecken, da schlägt einer mit dem Spazierstock dran, und zack! ist die Ecke ab. So ist das mit Beton. Gerade Kanten kann man beim Beton vergessen.

Ja, gut, ganz oben an der Abschlusskante, wenn da keiner mit einem Spazierstock drankommt, oder wenn, dass man das nicht sehen kann, das ginge vielleicht. Auch 45-Grad-Winkel an den Kanten gehen. Aber das hier ist ja Denkmal, also soll es aussehen wie Stein, das heißt: Bau mir gefälligst grade, messerscharfe Kanten. Mit Beton wird das nix. Kann man doch mit dem Fingernagel abbröseln. Dann sehen die Kanten nach ein paar Wochen schon so aus wie die Berliner Mauer Ende November 89.

Sonst ist das ja ein lächerlich leichter Job. Vierkantkästen, ohne irgendwelche Aussparungen, keine Fenster, keine Türen. Ein langweiliger Job, ich sag mal: Bunkerbau. Immer das Gleiche, und das ein paar hundert Mal. Aber Ärger wird es natürlich trotzdem geben. Denn beim Beton, Sie kennen das vielleicht, da blüht hier mal der Kalk aus, dort schillern bunte Ränder von Mineralien, und nach einigen Monaten hast du schon die ersten Flechten und Moose dran. Nach drei Jahren sieht das Ganze aus wie ein Nazi-Panzersperrfeld aus dem Zweiten Weltkrieg.

Mich geht das ja nix an. Ich krieg meinen Stundenlohn. Aber ich weiß schon, hinterher sind wir dran schuld. Jeden Fleck auf diesen Dingern wird man den Bauarbeitern anlasten. Aber da kannst du jede einzelne Schalplatte noch so putzen und wienern, Flecken im Material gibt es bei Beton immer. Und wenn wir jeden Block nach dem Guss stundenlang rütteln, die letzte Luftblase, die erwischst du nie. Vielleicht sollten die den Beton mit destilliertem Wasser machen, damit weniger Mineralien drin sind. Und nur mit Sand, der vorher in Benzin und Aceton gereinigt wurde. Reinraumbedingungen, wie bei Mikrochips. Und zum Wässern kriegen wir täglich hundert Tankwagen Quellwasser aus dem Schwarzwald, da gibt es weiche Quellen. Quasi null Kalk. Könnte man alles versuchen.

Kostet aber Geld. Nee, wir Bauleute sind schließlich die Dummen. Auf uns werden sie es abladen. Pfusch am Bau, wird es heißen. Bloß weil Marmor, Granit oder Schiefer zu teuer war, müssen wir Betonbauer dann alles ausbaden. Der Architekt wird sagen, auf seinen Zeichnungen waren da keine Flecken im Material vorgesehen. Die Bauherren werden sagen, dass Materialunreinheiten so nicht zu vermuten gewesen sind, vorher. Ich sag nur: Beton sieht nicht so aus wie Naturstein. So ist das nun mal. Die Oberfläche verwittert. Da muss man alle paar Wochen mit Pflanzenschutzmitteln ran, sonst setzt sich da was dran und fängt an zu wachsen, und die Wurzeln sprengen später den Beton auf.

Mein Vorschlag: Wir bauen das Ding jetzt, stellen die Trümmer da hin. Alles schreit: O wie hässlich! Dann kommt ein Zaun rum, fünfzig oder hundert Jahre lang, und danach guckt man mal wieder, was die Natur draus gemacht hat. Schön mit viel Flechten, Moos, Bäumen und Farnen. Und das ist dann das Denkmal. Man muss Gras drüber wachsen lassen, sag ich mal. Darum geht das Ganze doch.

Fragen zu Warnung? kolumne@taz.de

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