islamisten inhaftiert: Gut gemeint gegen das Böse
Mit dem Erlass von neun Haftbefehlen gegen Mitglieder der Gruppe al-Tawhid scheint die spektakuläre Aktion von Generalbundesanwalt Kay Nehm gegen „mutmaßliche islamisch-fundamentalistische Terroristen“ gerichtlich abgesegnet zu sein. Aber das scheint nur so.
Kommentarvon CHRISTIAN SEMLER
Denn die Haftbefehle nennen als dringenden Tatverdacht die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Nehm hingegen hatte von konkreten Beweisen für einen nahen Terroranschlag gesprochen. Erste Vernehmungen hätten ergeben, dass es für diesen Verdacht „viel versprechende Ansätze“ gäbe. Natürlich setzt der Tatbestand der „terroristischen Vereinigung“ voraus, dass deren Mitglieder sich zusammengeschlossen haben, um terroristische Straftaten zu begehen. Insofern umgreift die Begründung der Haftbefehle logischerweise auch konkret bevorstehende Terrorakte. Dass aber von solchen Taten im Haftbefehl keine Rede mehr ist, macht einen kleinen, aber feinen Unterschied.
Dieser Unterschied erklärt sich sogleich, wenn man vom juristischen aufs politische Terrain wechselt. Nehm war es bei seinen öffentlichen Erklärungen nach der Festnahme der al-Tawhid-Mitglieder vor allem darauf angekommen, einen spektakulären Fahndungserfolg vorzuweisen. Und was wäre medien- und publikumswirksamer als eine Rettungsaktion in letzter Minute, getätigt vom obersten Verfolgungsbeamten der Nation, einem Juristen, der bislang im Geruch stand, sich allzu sehr von den Paragrafen der Strafprozessordnung beim Feldzug gegen das Böse behindern zu lassen.
Kein Wunder, dass die Nachrichtenagentur AFP gestern meldete, nicht etwa ein Richter, nein, Staatsanwalt Nehm selbst habe die Haftbefehle erlassen, gewissermaßen vor dem Gerichtshof seines eigenen ermittelnden Gewissens. Verständlicher Übereifer! Wie auch die von Bild prompt lancierte Nachricht, Chemikalienkäufe und Nägelfunde seien der Beweis, dass der Einsatz einer Splitterbombe unmittelbar bevorgestanden habe. Stimmte zwar nicht, war aber gut gemeint.
Denn offenbar gilt es nun, die deutsche Bevölkerung aufzurütteln, die angesichts drohender Attentate nach wie vor in geradezu unverantwortlicher Gelassenheit und Ruhe, um nicht zu sagen in lethargischer Lässigkeit verharrt. Wo bleibt das Fieber, wo bleibt die tätige Mithilfe tausender Hilfssheriffs, die in den Siebzigerjahren die Fahndung nach den RAF-Terroristen zu einem wahrhaft gesellschaftlichen Anliegen gemacht hatte?
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