piwik no script img

in fußballlandCHRISTOPH BIERMANN über Fußball in Italien

Kindergarten und Handgranaten

Hinterher in Testaccio war es schon sehr lustig durchgedreht, aber ganz unbeschwert konnte ich mich nicht darüber freuen. Drei Tage nachdem der AS Rom seine erste Meisterschaft am Ende von 18 langen Jahren des Wartens feiern konnte, hatte sich in dem Viertel, wo der Klub einst gegründet worden war und noch die Ruine seines ersten Stadions zu sehen ist, die Begeisterung kein bisschen gelegt. Zwischen den Häusern waren rot-gelbe Banner gespannt, und aus fast allen Fenstern wehten Fahnen oder Schals in den Farben der Roma. Glücklich trugen die Passanten auch an diesem schönen Sommerabend ihre Trikots durchs Viertel und waren immer noch Francesco Totti oder Gabriel Batistuta, die sie natürlich nur Tottigol oder Batigol nannten.

Aus den Wohnungen und den vorbeifahrenden Autos schallte entweder die Vereinshymne des Klubs oder „Grazie Roma“ von Antonelli Venditti, ein auch hierzulande eingeführter Italo-Schlager, der den AS Rom preist. Von solchen Tönen umspielt, brach mancher Autofahrer in spontanes Hupen aus, worin andere beseelt einstimmten. Und überall war ein glückliches Leuchten auf den Gesichtern, ganz besonders aber im Ladenlokal der Roma-Ultras von Testaccio, wo eine Todesanzeige an die begrabenen Titelhoffnungen der alten Dame Juventus aus Turin erinnerte.

So schön ist Fußball wohl nur in Italien, heiter durchgeknallt wie die Spielshows im Fernsehen, bei denen noch blondere Busenwunder in noch weniger Textilien durch den Irrsinn führen. Aber, wie gesagt, so ganz ungetrübt war mein Entzücken angesichts des größten Kindergartens der Welt nicht. Denn zehn Tage zuvor hatte ich auf der Tribüne von San Paolo in Neapel gesessen und mich zum ersten Mal seit vielen Jahren in einem Stadion wieder richtig unwohl gefühlt. Vier Minuten hatten dem AS Rom an jenem erschlagend heißen Sonntag zum vorzeitigen Gewinn des Scudetto gefehlt. Aber bei aller Sympathie für die Lieblinge der Hauptstadt war ich froh, als der SSC Neapel den Ausgleich doch noch erzielte. Ihren Abstieg half das am Ende nicht zu verhindern, zumindest aber für diesen Tag – und damit wohl Schlimmeres.

Schon vor dem Anpfiff waren Tränengaswolken über die Tribüne geweht, als die Polizei Scharmützel der gegnerischen Tifosi zu unterbinden versuchte. Die aus Rom hatte man in einer Ecke des Stadions hinter meterhohen Wänden aus Sicherheitsglas eingekerkert, über die noch Stahlnetze gespannt waren. Offensichtlich aber nicht hoch genug, denn den Neapolitanern gelang es, tote Ratten hinüberzuwerfen. So hatte das beindruckende Spektakel in der monströsen Betonschüssel, die jedes Mal spürbar bebte, wenn 50.000 Einheimische auf und nieder hüpften, einen dunkel aggressiven Unterton. Passenderweise explodierten die Kanonenschläge, die von den Rängen geworfen wurden, mit der Lautstärke von Handgranaten.

Die Romanista in ihrem Käfig konnten nichts zu trinken kaufen, am Ende keine Meisterschaft feiern und blieben nach dem Spielschluss noch eine halbe Stunde eingesperrt. Als ich das Stadion verließ, drängten sie sich schon auf den Treppen und tauschten mit den Fans der Gastgeber Beleidigungen aus. Dann brachte die Polizei ihre Tränengas-Gewehre in Stellung, um für den Abzug der Gäste das Feld zu räumen. Das anschließende Chaos, wie es das in Deutschland ewig nicht gegeben hat, konnten sie nicht verhindern. Die brennenden Einsatzwagen, die umgestürzten Busse, die zerstörten Ambulanzfahrzeuge und den demolierten Bahnhof konnte ich mir im Fernsehen anschauen.

Bevor die Kinder ausgelassen und liebenswert feiern konnten, hatten sie sich noch einmal ordentlich daneben benommen. Den Papas von der Polizei waren dazu nur Knüppel und Tränengas, Gitter und Stacheldraht eingefallen. Gereicht hatte es an diesem Tag in Neapel nicht, wie so oft an den italienischen Fußball-Wochenenden der letzten Jahre. Und so verließ mich bei der übergeschnappten Freudenfeier in Testaccio das Gefühl nicht, dass sie mit dem Nachmittag in Neapel mehr zu tun hatte als gut war.

Autorenhinweis:Christoph Biermann, 40, liebt Fußball und schreibt darüber.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen