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heute in hamburg„Ein Maß an Freiheit ist das Ziel“

Daniel Ajzensztejn

57 ist in Hamburg als Partner bei der internationalen Rechtsanwaltskanzlei Taylor Wessing tätig.

Interview Tjade Brinkmann

taz: Herr Ajzensztejn, kennen wir unsere Grundrechte gut genug?

Daniel Ajzensztejn: Das ist eine individuell zu beantwortende Frage. Meiner Erfahrung nach kennen wir gerade außerhalb des juristischen Bereichs die Grundrechte meist nicht gut genug. Entscheidender ist aber: Selbst wenn wir sie grundsätzlich kennen, wissen viele nicht genau, wie sie angewandt werden und was sie genau bedeuten.

Warum ist das problematisch?

Die Grundrechte sind praktisches Recht. Sie ermöglichen vor allem, dass ich mich gegen den Staat wehren kann. Ferner beinhalten sie auch, was ich vom Staat fordern kann. Wenn wir in einer Situation sind, in der wir Grundrechte verteidigen, sind wir hilflos, häufig ohnmächtig. Mir geht es darum, dass je­der Einzelne in der Lage ist zu beurteilen, ob etwas passiert, das die Grundrechte infrage stellt – vielleicht auch bei Freunden, der Nachbarin oder dem Ehepartner. Darüber sollten wir qualifiziert nachdenken können, auch ohne Jura studiert zu haben.

Seit der Coronapandemie wird die Debatte über Grundrechte in der breiten Öffentlichkeit geführt. Kam die Pandemie für die Wahrnehmung der Grundrechte gerade richtig?

Eine Pandemie kommt nie richtig, aber sie hat das Verhältnis vom Einzelnen zum Staat auf der einen Seite und zur Gesellschaft auf der anderen Seite auf die Tagesordnung gerufen. In der Tat ist es kontrovers, wann wir die Freiheit einschränken können, um das Leben und die Gesundheit anderer zu schützen. Dabei kommt es darauf an, dass es kontrolliert geschieht und es Gerichte gibt, die das überprüfen.

Inwiefern?

Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass Grundrechte auch Schranken haben und es wesentlich ist, dass Eingriffe des Staats in deren Rahmen auch erlaubt sind. Nicht die absolute Freiheit des Menschen in seinen Grundrechte ist das Ziel, sondern ein Maß an Freiheit und kontrollierten Beschränkungen der Freiheit. Das verhilft der gesamten Gesellschaft zu einem möglichst freiheitlichen Leben.

Wie steht es in Deutschland um die Einhaltung der Grundrechte?

Wir haben ein verlässliches Bundesverfassungsgericht, gerade im Vergleich mit dem stark politisierten Supreme Court in den USA. Damit haben wir einen Hüter der Grundrechte, an den man sich wenden kann. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass wir stärkeren gesellschaftlichen Spannungen ausgesetzt sind und diese weiter wachsen werden. Diese Spannungen und die auf diese reagierenden staatlichen Regelungen könnten wiederum auch stärkere Spannungen im Grundrechtsbereich hervorrufen.

Online-Vortrag „Die zentrale Bedeutung der Grundrechte für eine lebenswerte Gesellschaft“:18.30 Uhr, als Auftaktveranstaltung einer Ringvorlesung der Hamburger Fern-Hochschule, Anmeldung: www.hfh-fernstudium.de

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