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heute in hamburg„Menschen mit Naturgewalten gleichgesetzt“

Diskussion: „Hetze, Lüge, Abwertung. Wie Rechtspopulisten über Einwanderung sprechen“, mit der ehemaligen Bundesbeauftragten für Migration Aydan Özoğuz und Johannes Hillje. Friedrich-Ebert-Stiftung, 19 Uhr, Monsun Theater, Friedensallee 20, Eintritt frei

Interview Andrea Maestro

taz: Herr Hillje, ist das Wort Flüchtlingswelle problematisch?

Johannes Hillje: Ja, das Wort setzt Menschen mit Naturgewalten gleich. Es findet eine Entmenschlichung des Phänomens Migration und Flucht statt. Außerdem ist es auch auf einer inhaltlichen Ebene problematisch: Wenn Migration mit einer Naturgewalt gleichgesetzt wird, impliziert das, dass wir gegenüber den Ursachen ohnmächtig sind. So findet die Diskussion über Fluchtursachen gar nicht statt und wir reden nur über Maßnahmen der Abschottung und der Begrenzung. Das ist ein rechtspopulistisches Framing.

Aber das Wort nutzen doch auch viele Menschen, die keine Rechtspopulisten sind.

Es hat sich im öffentlichen Sprachgebrauch normalisiert und genau das ist auch das Problematische daran. Oft wird dieser Begriff, der eine rechtspopulistische Position transportiert, unreflektiert von Menschen genutzt, die diese Position gar nicht vertreten.

Welche rechtspopulistischen Begriffe sind noch in der Alltagssprache angekommen?

Zum Beispiel „Altparteien“ und „Lügenpresse“. Der Begriff Altparteien taucht mittlerweile sogar auf, wenn es gar nicht um Populismus oder die AfD geht. Er wird heute schon in ganz anderen Kontexten verwendet. Das Wort ist in den normalen Sprachgebrauch eingesickert, ohne dass die ideologische Ebene dieses Begriffs reflektiert wird.

Tragen Begriffe, die sich gegen Migranten richten, dazu bei, dass diese Menschen anders in unserer Gesellschaft wahrgenommen oder behandelt werden?

Foto: Erik Marquardt

Johannes Hillje, 33 , ist Autor und Politikberater. Sein Buch „Propaganda 4.0 – Wie rechte Populisten Politik machen“ ist 2017 erschienen.

Ich kann nicht für Einwanderer sprechen. Ich möchte aber anmerken, dass es viel zu wenig Forschung dazu gibt, wie eigentlich die Menschen, über die wir reden, diese Diskurse und Begriffe wahrnehmen. Wir brauchen mehr Stimmen von den Migranten selbst.

Was können Menschen tun, wenn Begriffe, die von Rechtspopulisten geprägt wurden, in alltäglichen Gesprächen fallen?

Man sollte ihnen neutrale Begriffe entgegensetzen und sein Umfeld dazu anregen zu hinterfragen, ob solche Begriffe, wie zum Beispiel Flüchtlingswelle, auch ihre persönliche Haltung widerspiegeln. Es geht um einen bewussten Umgang mit Sprache. Dabei ist es besser, zu fragen als zu belehren. Etwa: Ist es deine Absicht, Menschen mit einer Naturgewalt gleichzusetzen? Es ist immer eine Frage der Vermittlung und der Ansprache. Denn wenn wir kritische Fragen stellen, können wir Menschen zum Nachdenken bringen.

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