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heute in hamburg„Wenige setzen Viele unter Druck“

Foto: Barbara Dietl

Dinah Riese, 29, hat Kulturwissenschaften studiert und ist Redakteurin der taz.

Interview Petra Schellen

taz: Frau Riese, wann kippt Paragraph 219a, laut dem Ärzte nicht angeben dürfen, dass sie Abtreibungen machen?

Dinah Riese: Die Debatte ist festgefahren. Grüne, Linke und SPD wollen den Paragraphen kippen, die FDP will ihn reformieren und so sachliche Information entkriminalisieren, und die CDU will nichts ändern. Die SPD hält ihren Entwurf zurück und hofft auf einen gemeinsamen Vorschlag der Koalition.

Wann wird entschieden?

Die SPD hat gesagt, wenn die Union bis Herbst keinen Vorschlag vorlege, werde sie sich mit den anderen reformwilligen Fraktionen zusammensetzen. Ob sie das tut, wird sich zeigen. Theoretisch gäbe es im Bundestag eine Mehrheit außerhalb der Regierungskoalition für die Abschaffung des Paragraphen.

Verlaufen die Fronten zwischen Feministinnen und Fanatikern?

Nein. Da es nicht um eine Werbung für Abbrüche geht, sondern um eine Information darüber, wer sie durchführt, verlaufen die Linien eher zwischen Fundamentalisten und Konservativen einerseits und dem Rest der Gesellschaft andererseits. Die Petition der wegen „Werbung“ verurteilten Ärztin Kristina Hänel hat 150.000 Unterschriften. Der Protest geht weit über klassisch feministische Kreise hinaus.

Wird wegen der „Werbung“ denn mehr abgetrieben?

Nur weil eine ungewollt Schwangere weiß, wo sie einen Abbruch machen kann, tut sie das nicht unbedacht. Diese Argumentation basiert auf einem Frauenbild, das schon in den 1950ern hätte überholt sein müssen: dass Frauen nicht fähig sind, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen, sondern dass die Entscheidung davon abhängt, wie viel sie wissen.

Weder Paragraph 219a noch ärztliche Informationen über Abbrüche sind neu. Warum kocht die Debatte jetzt hoch?

Die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen Ärzte hat zugenommen – und damit der Druck. Auslöser der jetzigen Debatte war Kristina Hänels Entschluss, an die Öffentlichkeit zu gehen. Das war für viele Ärzte Anlass, sich auch zu äußern.

Warum häufen sich Anzeigen?

Weil Abtreibungsgegner den 219a als Hebel entdeckt haben und systematisch Leute anzeigen. Wenige Personen – meist aus einem christlich-fundamentalistischen Umfeld – setzen enorm viele unter Druck.

Podiumsdiskussion der Linksfraktion über § 219a: 18.30 Uhr, Rathaus, Raum 151

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