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heute in hamburg„Mit der Kritik an Gender wird mobilisiert“

Paula-Irene Villa, 49, ist Professorin für Allgemeine Soziologie und Gender Studies an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Interview Alexander Diehl

taz: Frau Villa, Gender als Idee der Konstruiertheit von Geschlecht: Das ist durchgesetzt. Oder nicht?

Paula-Irene Villa: Einerseits ja: Das ist eine inzwischen ziemlich unspektakuläre Idee, die ja auch zu den alltäglichen Erfahrungen der Menschen passt. Es gibt viele Formen von Weiblichkeit und Männlichkeit, nicht den einen Mann, die eine Frau. Geschlecht ist vieles, nicht immer die eine Form, nicht der eine Körper und auch nicht immer die eine Identität.

Aber?

Wir haben andererseits zunehmend eine Mobilisierung, eine politische Artikulation, die sagt: „Alles Quatsch!“, von Natur aus ist der Mann so, die Frau so, alles andere ist Unfug, ist Hirngespinst, verschwendetes Geld oder Schlimmeres. Da gibt es den Versuch, fundamentalistische Positionen einzuziehen.

Zusammen mit Ihrer Berliner Kollegin Sabine Hark haben Sie 2015 den Band „Anti-Genderismus“ herausgegeben – mindestens so lange also besteht Handlungsbedarf?

Man kann das polemische Gender-Bashing bis in die 90er-Jahre zurückverfolgen, bis zur Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking: Interessanterweise arbeitete sich zunächst der Vatikan daran ab. Im deutschsprachigen Raum bemerkt man dann ab Mitte der Nullerjahre einzelne Publikationen, in Cicero, im Manufactum-Verlag, also in diesem sich herausbildenden bürgerlich-konservativen Milieu, im Feuilleton auch.

Und wie sehen die Gender?

Als Bedrohung des Abendlands, der Familie und der moralischen Ordnung, von Freiheit und Liberalität. Und das wird dann in den 2010er-Jahren zu einem allgemeineren Diskurs, weil sich mit der Kritik an Gender auch sehr gut mobilisieren lässt. Da ist ganz viel mitgemeint: die „Eliten“ versus „wir hier unten“, die EU versus nationale Identität, Gängelung, „political correctness“, Zensur und Meinungshegemonie versus Freiheit – was immer man damit meint.

Den Begriff füllt jeder nach Bedarf auf?

Er wird assoziiert mit einem Elitendiskurs, aber auch mit angeblichen Fake-Problemen, die sich angeblich entfernen von realen feministischen Problemen oder realen akademischen oder realen politischen Auseinandersetzungen. Es gibt ein Bashing, eine nicht immer differenzierte Auseinandersetzung von links, wenn man es so nennen will: aus Kontexten, die sich für linksemanzipatorisch halten – oder für urfeministisch.

Vortrag „Anti-Genderismus“: 19.30 Uhr, Hamburger Frauenbibliothek, Grindelallee 43

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