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heute in hamburg„Regierung in Geiselhaft“

Diskussion Der Linken-Politiker Deniz Celik über die Folgen des Putschversuchs in der Türkei

Foto: Karin Desmarowitz
Deniz Celik

37, ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linken und hat Politikwissenschaft und öffentliches Recht studiert.

taz: Herr Celik, was läuft in der Türkei seit dem Putschversuch falsch?

Deniz Celik: Anstatt nach dem Putschversuch einen demokratischen Neuversuch zu starten, umgeht Erdoğan das Parlament. Er und sein Kabinett können sogar verfassungsändernde Gesetze verabschieden.

Also benutzt Erdoğan den Putschversuch, um die Autokratie auszubauen?

Ich nenne das elektorale Autokratie, denn er ist vom Volk gewählt. Er nutzt die Situation, um seine Macht auszubauen. Schritt für Schritt schafft er die Demokratie ab. Alle Oppositionellen leben in der Angst, als Anhänger von Fetullah Gülen gebrandmarkt zu werden.

Steht Gülen hinter dem Putschversuch?

Ja, aber nicht allein. Die Gülen- Bewegung hat mit Sicherheit Bündnisse mit anderen Organisationen geschlossen. Und natürlich steht die Frage im Raum, ob es Unterstützung aus dem Ausland gegeben hat.

Was passiert, wenn die USA Gülen ausliefern?

Die Spannungen zwischen der Türkei und den USA würden sich abbauen. Und Gülen würde lebenslang hinter Gitter wandern. Aber dann hätte Erdoğan auch keinen Sündenbock mehr.

Reagieren die deutschen Politiker falsch, wenn sie sich hinter Erdoğan stellen?

Zum einen ist es richtig, dass sie den Putschversuch verurteilen. Die türkische Gesellschaft möchte keinen Machtwechsel durch einen Militärputsch und das ist auch gut so. Aber sie dürfen jetzt nicht alles billigen, was Erdoğan tut. Deutsche Politiker müssen deutlich sagen, dass Oppositionelle nicht weiter verfolgt werden dürfen. Erdogan veranstaltet eine Hexenverfolgung.

Also ist die deutsche Politik noch nicht deutlich genug?

Nein. Durch das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei hat sich die Bundesregierung in Geiselhaft nehmen lassen. Die Einhaltung des Abkommens steht für sie an oberster Stelle. Das ist fatal für die Menschen in der Türkei.

Betreffen diese Ereignisse auch Türken, die in Hamburg leben?

Ja. Über türkische Medien verfolgen sie genau, was passiert. Auch hier sind die Menschen polarisiert: Die einen stehen hinter Erdoğan, die anderen fürchten, dass es zu einer Diktatur kommt. Wir müssen dafür sorgen, dass es durch die Spannungen in der Türkei hier keine gewalttätigen Auseinandersetzungen gibt.

Interview: Johanna von Criegern

„Ziviler Putsch in der Türkei – was ist los im Land am Bosporus?“: 19 Uhr, Bürgerhaus Barmbek, Eintritt frei

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