piwik no script img

heute in hamburg„Ressentiments wachsen“

Rechtsruck Der EU-Ausstieg Großbritanniensnützt Rechten in ganz Europa, sagt Hinrich Kuhls

Foto: privat
Hinrich Kuhls

67, ist Sozialwissenschaftler im Ruhestand und Mitarbeiter der Zeitschrift Sozialismus. Er lebt in Düsseldorf am Rhein.

taz: Herr Kuhls, glauben Sie, die Briten finden noch ein Schlupfloch aus dem Brexit?

Hinrich Kuhls: Nein. Die zukünftige Premierministerin Theresa May hat angekündigt, dass Brexit auch Brexit heißt.

Wird die EU daran kaputtgehen?

Scheitern wird die EU nicht, aber sie wird in der Frage der stärkeren Kontrolle von Immigration und dem Zugang zum Binnenmarkt auf Großbritannien zugehen. Denn zumindest die Kon­trolle von EU-Migranten hat May als Ziel von den Rechtspopulisten übernommen.

Hat das Referendum die Rechten in Großbritannien gestärkt?

Ja, aber nicht nur die Rechtspopulisten dort, sondern in ganz Europa. Das Votum für den Austritt aus der EU wird für viele Parteien wie den Front National oder die AfD in Deutschland ein Ansporn sein, um ihre Regierungen zu einem nationalen Weg aus der Krise zu drängen.

Was für Folgen hat das Referendum für Großbritannien?

Was das für die Krise des politischen Systems im Vereinigten Königreich bedeutet, kann man jetzt noch gar nicht absehen. Ich glaube aber nicht, dass es Schottland möglich sein wird, als eigenständiges Land eine ausreichende ökonomische Basis zu finden. Ein Exit Schottlands ist deshalb keine reale Vision.

Aber das Referendum hat doch gezeigt, dass die Menschen nicht danach abstimmen, was das Beste für die wirtschaftliche Entwicklung ihres Landes ist. Sie stimmen eher nach Gefühl ab.

Das Referendum wurde nicht durch ein Gefühl entschieden, sondern weil es den Rechtspopulisten gelungen ist, den Brexit mit der Lösung sozialer Probleme zu verknüpfen. Dabei ging es um die Einwanderung von Arbeitsmigranten aus den östlichen EU-Mitgliedstaaten und den ausgebliebenen Investitionen in soziale Einrichtungen. Gerade in sozialen Brennpunkten sind so Ressentiments gewachsen.

Rückt die Labour Party nach diesem Rechtsruck nun wieder nach links?

Der Parteivorsitzende Jeremy Corbyn, der sich zwar für den Verbleib in der EU eingesetzt hat, aber ein Ende der Sparpolitik fordert, wird in der eigenen Fraktion kritisiert. Ob es einen Politikwechsel hin zu einem sozialistischeren Konzept geben wird, wird in den nächsten Wochen entschieden.

Interview: Andrea Scharpen

Vortrag „Nach dem Brexit-Referendum: Britannien in Europa und die Labour Party“: 19 Uhr, W3-Saal, Nernstweg 34

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen