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heute in bremen„Corona ist eine Modell-katastrophe“

Sofiya Bohoslavets

26, hat im Rahmen ihrer Masterarbeit zur Tschernobyl-Katastrophe in der deutschen und ukrainischen Erinnerung geforscht.

Interview Selma Hornbacher-Schönleber

taz: Frau Bohoslavets, Thema Ihres Vortrags ist transnationales Katastrophengedächtnis. Was genau ist das?

Sofiya Bohoslavets: Das kann man als Gedächtnis an Modellkatastrophen verstehen, das entgrenzt ist. Die Erinnerung an solche Katastrophen ist nicht nur im Rahmen einer Nation, sondern über Grenzen hinaus relevant.

Was ist eine Modellkatastrophe?

Modellkatastrophen bestimmen die Interpretation von ähnlichen Krisenereignissen, deswegen kehren wir immer wieder zu ihnen zurück. Darin liegt ihr Modellcharakter. Solche Katastrophen werfen oft existenzielle Fragen auf: Wie weit können wir zum Beispiel mit unserem „Fortschritt“ gehen? Wo sind die Grenzen? Corona tut das auch.

Inwiefern kann man Corona und Tschernobyl vergleichen?

Corona erinnert uns immer wieder daran, dass wir eine Risikogesellschaft sind. Wie bei Tschernobyl wissen wir nicht, wie wir damit umgehen sollen: Corona hat keinen direkten Vorläufer, denn die Spanische Grippe ist 100 Jahre her. Fukushima hat da nicht den gleichen Modellcharakter, weil es mit Tschernobyl einen Maßstab hatte.

Wie wird Tschernobyl kollektiv unterschiedlich erinnert?

Vortrag und Ausstellung

„Auf dem Weg zum trans­nationalen Katastrophengedächtnis: Tschernobyl als deutsch-ukrainischer Erinnerungsort“: 11 Uhr, Haus der Wissenschaft, Eintritt frei

In Deutschland hat Tschernobyl grundsätzlich den Diskurs zu Nuklearenergie verwandelt, hin zu einem Atomausstieg. Fukushima konnte dann niemand mehr als ein einmaliges Ereignis sehen. Es hat gezeigt, dass es nicht um den Kontext geht – sowjetische Diktatur oder ein westlich geprägtes Land –, sondern dass man sich mit den inhärenten Gefahren der Nuklear­energie auseinandersetzen muss.

Und in der Ukraine?

In der Ukraine hat Tschernobyl nicht zu einem Atomausstieg geführt, es hat eine andere Rolle gespielt: In den 80ern war Tschernobyl eher eine Gegenerinnerung gegen die Sowjetunion. Mit deren Zerfall fiel diese Rolle weg – jetzt ist Tschernobyl eine gewisse „Gedächtnislücke“ in der ukrainischen Gesellschaft.

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